Die Sudeten- und Aarpathenländer.
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VI. Die Sudetenländer.
Ost er reich ist im Gegensatze zu Deutschland vorwiegend Gebirgsland, und nur ein geringer
Bruchteil fällt dem Tieflande zu. Dars sich das Raiserreich daher einer hohen Schönheit seiner
Natur rühmen, so bereitet doch die Bodengestaltung dem Verkehre und der Produktion viel
größere Hindernisse als im Deutschen Reiche, in Frankreich und (England, und die geringere
wirtschaftliche Entwicklung verschiedener Kronländer ist besonders hieraus zu erklären.
Wesentlich günstiger gestellt als die Alpenländer sind in dieser Einsicht die Sudetenländer
Böhmen, Mähren und Schlesien, und unter diesen wieder steht Böhmen an der Spitze. <£s
ist ein beckenartig geformtes Berg- und Hügelland aus Granit und kristallinischem Schiefer,
das seit den ältesten Zeiten der Festlandbildung sich als Insel erhalten hat und auch heute noch
mit scharfer Umgrenzung von den Nachbarländern sich abhebt. Das wunderbar regelmäßige
Stromnetz Böhmens bedingt irrt Vereine mit der großen Produktivität des Bodens, der im
Süden vorwiegend Ackerland ist, im Norden aber wertvolle Mineralschätze birgt, die hohe
wirtschaftliche Entwicklung Böhmens, namentlich auch feine lebhafte, großenteils boden-
ständige Industrie. So liefert Böhmen allein etwa die Hälfte aller diesseits der Leitha in
Österreich gewonnenen Kohlen, namentlich die Umgebung von Prag, Pilsen und Dux (S. ^6).
Um Pilsen, Kladno und Prag (S. ^5) wird auch viel Eisen gegraben. Dazu kommt die aus-
gedehnte Leinen- und IVollwarenfabrikation Nordböhmens, die Baumwollspinnerei und
-Weberei. Die ausgedehnten Hopfenpflanzungen haben der böhmischen Brauerei (Pilsen)
verdienten Ruhm verschafft, endlich sind noch als wichtige Industriebetriebe die Glashütten
des Böhmerwaldes und die Porzellanfabriken des Karlsbader Gebietes zu nennen.
Der mächtige Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens in Böhmen, der reichsten Provinz
Lisleithaniens, hat namentlich Prag (S. U5), das nun 31(5,000 Einwohner zählt, zu einem
Hauptsitz des Großhandels und der Großindustrie gemacht. Schon durch seine Lage in der
Mitte des Landes erscheint es zum Vororte Böhmens bestimmt, und Fürstengunst verlieh ihr
schon frühzeitig eine hohe Blüte. Im Jahre ^3^.3 gründete hier Karl IV. die erste deutsche
Universität, und derselbe Fürst erbaute auch die herrliche Karlsbrücke mit ihren zahlreichen
Bildsäulen (S. 1^5), unter denen jene des heiligen Johann von Nepomuk die berühmteste ist.
Die Sage erzählt, daß er an dieser Stelle vom König Wenzel in die Moldau gestürzt wurde.
Von der Karlsbrücke aus genießt man den schönsten Blick auf die Klein seit e von Prag, den
vornehmsten Stadtteil mit dem Sitze der weltlichen und geistlichen Behörden wie des reichen
böhmischen Adels, mit dem Ring, dem Wallensteinschen palaste u. a. Alle diese Gebäude aber
überragt die historisch berühmte Hofburg, der Hradschin, von dem aus im Jahre das
Signal zum Abfalle Böhmens vom Hause Habsburg und damit indirekt zum Beginn des
furchtbarsten Krieges der Neuzeit gegeben wurde. An der Kleinseite von Prag tobten dreißig
Jahre später die letzten Kämpse vor dem Abschlüsse des westfälischen Friedens.
VII. Die ktarMhenlander.
„In Ungarn ist alles anders als drüben in Osterreich, sogar die Lust ist hier anders."
Dieses Wort eines ungarischen Staatsmannes ist durchaus zutreffend. Natur und Menschen
jenseits der Leitha unterscheiden sich (und nicht bloß in der Pußta) von den gleichen Erschei-
nungen in anderen Ländern so wesentlich, daß, wer aus ungarischen Boden auch nur vor¬
übergehend verweilt, sich dem Lindrucke nicht entziehen kann, er stehe einer anderen, ihm bis
dahin fremden Kulturwelt gegenüber. Kein zweites Land in Europa zeigt so scharfe Gegen-
sätze wie Ungarn. Schon die landschaftliche Szenerie überrascht uns damit. Endlos weite, nur
spärlich mit Busch- und Strauchwerk bedeckte Ebenen werden umfaßt von steil ansteigenden,
dichtbewaldeten Hochgebirgen. Dort ein nur wenig unterbrochenes, eintöniges, auf die Dauer
A. Geistbeck, Geogr. Bilder-Atlas, Europa. z