Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

feil ist, dort ein geiziger Bauer, der mit seinen närrischen Späßen den 
Handwerker erheitern und satt machen will. All die Leute soll der Schneider 
mit einem Maße messen. Und, was die Hauptsache ist: Kopf muß einer 
haben! Was an einem krummen, buckligen Menschenkind verdorben ist, das 
soll der Schneider wieder gutmachen. Der Schneider muß aber nicht allein 
den Körper seines Kunden, er muß auch, sozusagen, sein ganzes Wesen er¬ 
fassen, um ihm ein Kleid zu geben, das paßt. Ebenso muß er den Stoff 
kennen, von dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt 
sich, manches kriecht zusammen, dieses hält Farbe, das andere verschießt. 
Wer das vorher nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der 
Kleidermacher muß Menschen- und Weltkenner sein. Na, werd' ihn' mal 
anschaun, soll nächster Tage zum Alpelhofer kommen, dort wird er mich 
finden!" 
So bin ich denn an einem der nächsten Tage in Heller Morgenfrühe 
zum Alpelhofer hingegangen. Lange stand ich ans dem Antrittsstein der 
Haustür und dachte: „Wie wird es sein, wenn ich wieder heraustrete?" 
Eine fast feierliche Stimmung lag um das Hans, das auf dem Berge 
zwischen Linden stand. Drinnen saß die Entscheidung meines Schicksals. 
Da ich in die Stube trat, saß der Meister am Tisch und nähte. Vor ihm 
lag das Handwerkszeug, daneben zugeschnittenes Lodentuch, an der Sitz¬ 
bank hing das Bügeleisen. Ich blieb an der Tür stehen. Es war alles 
still. Er zog die Nadel ans und nieder. Nur die Wanduhr und mein 
Herz pochte. „Was willst du denn?" fragte mich nach einer Weile der 
Meister. „Schneider werden möcht' ich halt gern," antwortete ich zagend. 
„So, bist du der?" sagte er und blickte mich eine Weile an. „In Gottes 
Namen geht's au. Setz dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir 
diesen Ärmling zusammen!" So tat ich; aber es ist leichter gesagt als 
getan. Da staken im Kissen au die dreißig Nadeln aller Größen. Da 
lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile 
des Ärmlings, wie werden sie behandelt und znsammengetan? Ich warf 
fragende Blicke auf den Meister. Er tat, als wisse er nicht mehr als ich. 
So hub ich denn an. Ich fädelte ein, legte den Lodenstoff aufs Knie 
und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch, der erste Stich war 
mißlungen. Ties erglühend forschte ich der Ursache nach und kam endlich 
darauf, daß von mir vergessen worden war, in den Faden einen Knoten 
zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und nähte 
hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es wand und verdrehte 
sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich das 
Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar 
der Faden. Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß 
mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich 
endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, 
was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den Ärmling 
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