Full text: Bilder aus dem Deutschen Reiche (Bd. 3)

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Bilder aus dem norddeutschen Gebirflsloude. 
denen sich der goldige Weizen mit schwerer Ähre im Winde wiegt; oder 
den lieblichen Thälern der klaren Harzgewässer mit ihren buchen- 
bestandenen Hängen, ihren Eisenhämmern und schmucken Ortschaften; 
oder dem hohen Harze mit seinem dunklen Tannenwalde, aus dem hie 
und da der Spiegel eines Teiches glänzend hervorleuchtet, mit seiner 
feierlichen Waldeinsamkeit, in die aus weiter Ferne die Herdenglöckchen 
wie „Glockengeläut einer verlorenen Waldkirche" herüberklingen? 
Man hat den Harz ein „großartiges Naturalienkabinett" 
genannt. Und wahrlich mit Recht. Giebt es auch Gegenden mit 
mannigfaltigerer Flora, so bietet doch der Harz mit seiner Menge 
seltener Pflanzen, die in ganz Norddeutschland nur hier zu Hause siud, 
mit seinen Eibengebüschen und seinem Beerengestrüpp, seinem Reichtum 
an Farnen und Pilzen, mit seiner alpinen Vegetation dem Botaniker 
ein dankbares Feld seiner Thätigkeit. Und auch mit seiner Tierwelt 
kann der Harz sich sehen lassen. Elch und Schelch, Ur und Wissent 
sind freilich ausgestorben, der letzte Bär ist 1705, der letzte Wolf 1798 
und der letzte Luchs 1818 erlegt. Aber noch immer balzt auf deu ein- 
samen Höhen des Bruchberges und Ackers der Auerhahn, noch immer 
wühlt sich in den Schluchten das Schwarzwild seine Kessel, nnd Hirsch 
und Reh zeigen sich oft in stattlichen Rudeln dem Wanderer, der die 
ausgetretenen Touristenpfade meidet. Und fehlt auch dem hohen Harze 
die Königin der freien Waldsänger, die „hochbegabte" Nachtigall, so ist 
das Waldkonzert im Gebirge doch vollstimmiger nnd an Abwechselung 
reicher als irgendwo im Flachlande. — Ein wahres „Schatzkästlein" 
aber ist der Harz für den Geognoften, denn er „enthält im kleinsten 
Räume alle Formationen und Eruptivgesteine mit einziger Ausnahme 
des kristallinischen Schiefergebirges und der jungen vulkanischen Ge- 
steine." „Auf Schritt und Tritt siud die trefflichsten geoguoftifcheu 
Aufschlüsse zu finden, die tiefen Gruben haben die herrlichsten 
geognostifchen Durchschnitte enthüllt." So ist denn der Harz von 
alters her der Zielpunkt der Geognosten gewesen und in neuerer Zeit 
von ihnen so genau uutersucht, wie kaum ein anderes Gebirge der 
Welt. 
Und wie viele bedeutsame historische Erinnerungen knüpfen sich 
an den Harz! Soviel Städte ihn umgrenzen, soviel Burgruinen von 
seinen Höhen in das Land schauen: soviel Denksteine deutscher Geschichte 
reden hier ihre eindringliche Sprache. Liegt nicht dort an der Oker 
in seinen nördlichen Vorlanden das Dorf Ohrum, wo die Thüringer 
im Jahre 528 von den Franken besiegt wurden, wo 747 Pipin der 
Kleine seinem Stiefbruder Gripho gegenüberstand, wo sich 775 die Ost- 
salen Karl dem Großen unterwarfen und 780 die Albinger von ihm 
zur Taufe gezwungen wurden! Aus der Kaiserzeit aber weiß 
mehr noch die benachbarte Pfalz Werla, zu welcher einst ein großer 
Teil des hohen Harzes als Jagdgebiet gehörte, uns zu erzählen. Hier 
schloß Heinrich I, seinen nennjährigen Waffenstillstand mit den Ungarn, 
hier hielten seine Nachfolger bis auf Friedrich I. glänzende Reichstage 
nnd Fürstenversammlungen. Gerade diesem ersten Könige aus dem
	        
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