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Bilder aus der norddeutschen Tiefebene.
den schlanken, schwanken Stil gereiht; dort neigen sie sich wie Korallen-
kügelchen an einem hellgrünen Seidensädchen. Diese Blüte gleicht einem
Alabasterglöckchen oder Atlaspantöffelchen, jene einem Turban, einem
weiß- und rotgefärbten Fläfchchen, einem silbernen Trompetchen.
Doch sieh! Hier ist auch das Bett eines Baches, der als dünner
Faden dahin fließt zwischen wüstem Geröll von Feuersteinen. Die
düstere Einförmigkeit der Heide wird oft durch anmutige Flußthäler
in wirksamster Weise unterbrochen. Meilenweit sind dann die User
der Bäche und Flüsse von grünen Wiesenslächen, die nicht selten
künstlich berieselt werden, umsäumt. Meist stießen die klaren Gewässer
der Heide rasch dahin. Freilich nicht mehr so sischreich wie vor Zeiten,
liefern sie doch vielfach noch heute gute Ausbeute an Hechten und
Aalen, Rotaugen (Leuciscus erythrophthalmus) und Barschen (Perca
fluviatilis), Forellen und Neunaugen. Bemerkenswert ist, daß in
manchen Heidebächen noch die Flußperlmuschel (Unis margaritifera)
gefunden wird.
Auch sonst sehlt es der Heide nicht an aller und jeder Belebung.
Die kleinen, schwarzen Heidschnncken mit ihren frischen Augen durch-
wandern die Heide unter der Obhut des „Masters", der im weißwollenen,
rotgefütterten Mantelrock strickend vor ihnen herschreitet, während sie
in emporschnellenden, possierlichen Sprüngen sich tummeln, indem sie
ihm träge blökend folgen. Von Zeit zn Zeit erblickt man auch das
spitze Dach der Hütte eines Bewohners, welches tief über das niedrige
Fenster und die niedrige Thür herabhängt. Der Pserdekops prangt
auf dem Giebel als uraltes Sachsensymbol, auf der First noch ein Fuß
hoher Kamm von Heidekraut, darunter ein aufgestaffeltes Strohdach
ohne Schornstein, neben dem Hause ein Quell, ein paar verknorrte
Eichen, ein Streifen fruchtbarer Erde mit hungernden, Notreifen Halmen
Buchweizens, deffen weißrötliche Blüte eine Weide für die Bienen ist.
2.
Eine der bekanntesten Heidelandschaften der norddeutschen Tief-
ebene liegt in dem alten Fürstentum Lüneburg. Eiust sast ausschließ-
lich das Land der „traurigen Berühmtheit," hat die „Lüneburger
Heide" iu neuerer Zeit manchen beredten Bewunderer gefunden, und
wissenschaftliche Forscher und Künstler haben Feder uud Pinsel mit
Vorliebe ihr gewidmet. Abgesehen von den Stücken unserer zahl-
losen Lesebücher für höhere und Volksschulen, wo sich nicht selten
eine Auslese ungeheuerlichster Seltsamkeiten und befremdlicher Un-
kenntnis breit macht, sowie der Unterhaltuugs-Tageblätter, iu deueu
jeder seine Eindrücke einer flüchtigen Durchreise glaubt niederlegen
zu dürfen, sind verschiedene wertvolle Beiträge zur näheren Kennt-
nis der Heiden Nordwestdeutschlands erschienen, deren Verfasser aus
eigner Anschauung und zum Teil fleißiger und gewissenhafter For-
fchuug geschöpft haben. Daß gerade die „Lüneburger Heide" vor-
zugsweise Gegenstand öfterer Besprechungen geworden ist, während sie