Full text: Bilder aus dem Deutschen Reiche (Bd. 3)

Die norddeutschen Marschen. 
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niemals Rindvieh als Zugtiere. Kein Stier aus diesen Gegenden hat 
je seinen Nacken unter das Joch gebeugt, und die Güte des holsteinschen 
Ochsenfleisches soll wesentlich mit durch den Umstand bedingt sein, daß 
die Tiere nicht zum Ziehen verwendet werden. Außerordentlich gut ist 
auch das Kalbfleisch. Die jungen Tiere werden nicht, wie es anderwärts 
geschieht, mit 14 bis 24 Tagen geschlachtet, sondern erst, wenn sie zehn 
bis zwölf Wochen alt sind, und dann werden sie, um dem Fleische 
seine Zartheit und seinen Wohlgeschmack zn erhalten, mit Milch und 
Eiern gefüttert. Ausgezeichnet ist auch die Pferdezucht in den Marschen. 
Besonders für schwere Reiterei sind die kräftigen, hohen Tiere sehr 
geeignet; dock werden auch viele als Wagenpferde ausgeführt. 
Der Menschenschlag in den Marschen ist kräftig, stark, wohlgenährt 
und von zäher Ausdauer. Die Phantasie der Marschbewohner ist zwar 
etwas schwerfällig, sie besitzen auch nicht jene Beweglichkeit des Geistes 
und jenes rasche Erfassen, wie man es anderwärts findet; allein was 
sie einmal erfaßt und als gut und richtig erkannt haben, das führen 
sie auch mit Beharrlichkeit und Ausdauer durch. 
Auf Speise und Trank hält man in den Marschen sehr viel, wie 
schon das Sprichwort andeutet: „Eten uu Trinken sünd sör Lief und 
Sel an ifern Band*)." Das Eigentümliche der Speisen ist eine gewisse 
Derbheit und Gediegenheit, die vielleicht nicht ohne Einfluß auf die 
geistige und gemütliche Beschaffenheit der Marschbauern ist. Eine große 
Rolle, besonders bei den ärmern Leuten und bei den Knechten und 
Mägden der Marschhöfe, spielt der Buchweizen, aus welchem man die 
sogenannte Grütze, einen Brei mit Milch, Butter und Speck, kocht. 
Speck und schwere Mehlspeisen sind überhaupt vorherrschende Nahrnngs- 
mittel. Man ißt Erbsensuppe mit Speck, Klöße mit Speck, Bohnen 
mit Speck uud Pfannkuchen mit Speck — kurz, es ist beinahe wie auf 
jedem Schiffe, wo der tägliche Speisezettel lautet: „Erbsen mit Speck 
oder Speck mit Erbsen." Ein seltsames Gericht, welches zur Verdauung 
allerdings einen kräftigen norddeutschen Magen verlangt, sind die so- 
genannten „swetigen Mehlbüdel", d. h. Klöße von einem ungeheuren 
Umfange, oft größer als ein Manneskopf, aus Weizenmehl, Pflaumen, 
Rosinen, Eiern, Butter und Milch. Im Winter, zur Zeit der Schlacht- 
seste, wird dieses Gemengsel statt mit Milch mit frischem Schweineblute 
vermengt, dann gekocht und in brauner Butter aufgetragen. So ver- 
schiedenartig auch die Bestandteile erscheinen, so gut schmecken diese 
Mehlbüttel, wenn man sich erst daran gewöhnt hat; man könnte diese 
Speise das Nationalgericht der Marschbewohner nennen. 
Das Brot, welches in der Marschgegend genossen wird, ist entweder 
sehr schönes, mit goldbrauner Kruste überzognes Weißbrot oder sehr 
schwarzes, schweres Roggenbrot von derselben Beschaffenheit und dem- 
selben Geschmack wie der westfälische Pumpernickel. Gewöhnlich ißt 
man das Brot so: auf eine Schnitte Schwarzbrot, mit Butter bestrichen. 
*) „Essen und Trinken sind für Leib und Seele ein eisern Band.
	        
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