Full text: [Bd. 1, Abth. 1] (Bd. 1, Abth. 1)

20. Die Gletscher. 197 
bleibt es immer eine rauhe Bahn, die wenig gemein hat mit dem glatten, 
schimmernden Spiegel des Flußeises. Doch würde der Fuß verhältnismäßig 
leicht über alle die Höcker und Schollen dahinschreiten, wenn nicht unzählige 
Spalten und Schrunden den Boden durchsetzten. In scheinbarer Regel- 
losigkeit ziehen sie quer über und durch ihn hin, und während die meisten 
vielleicht nur die Breite eines Messerrückens, eines Haares haben und kaum 
ein paar Zoll eindringen, klaffen andere gähnend bis zum untersten Grunde 
hinab. Die letzteren leuchten dann oft in einem unsäglich schönen Farbenduft 
vou Blau und Grün, dem nichts in der organischen Welt verglichen werden mag; 
aber eben sie stellen bekanntlich auch der Besteigung der Gletscher das gefähr- 
lichste Hinderniß entgegen, zumal wenn frischgefallener Schnee sie den: Auge ver- 
birgt und den unkundigen Wanderer verlockt die trügerische Brücke zu betreten. 
Wer hätte nicht schon von solchen Katastrophen gehört? Auch sind in 
der That die Opfer, welche die Gletscher fordern, zahlreicher als man glauben 
möchte, und der Tod, dem sie verfallen, pflegt ein besonders schrecklicher zu 
seiu. Festgeklammert in der eisigen Tiefe, mit gebrochenen Gliedmaßen, liegt 
der Hinabgestürzte, oft ohne sich nur bewegeu zu können, bis vielleicht erst nach 
Stunden und Tagen die vereinte Macht des Hungers und der Kälte seine 
Qualen endet. Es ist geschehen, daß die Gefährten des Unglücklichen von 
der Oberfläche des Gletschers aus noch stundenlang zu ihm hinuntersprachen, 
ihm Seil und Beil hinabließen, ihn schon gerettet glaubten, daß dann aber 
das Seil riß oder im letzten Augenblicke die Kräfte den Erschöpften ver- 
ließen. — Wundern gleich vereinzelt stehen dagegen die Beispiele der Rettung, 
wie eine solche, und eine der merkwürdigsten überhaupt, vor mehr als achtzig 
Jahren anl Grindelwaldgletscher geglückt ist. Dort führte am 7. Juli 1787 
Christian Bohrer, ein Bewohner des Dorfes Grindelwald, seine Schafheerde 
über den Gletscher, als er am oberen Rande desselben plötzlich ausglitt und 
in einer überschneiten Spalte, mehr als 350 Fuß tief verschwand. Der 
ungeheure Fall hatte ihm das Bewußtsein geraubt. Wie er nach langer 
Betäubung erwachte, fand der Verunglückte sich in völliger Finsterniß, auf 
dem Felsengrunde des Gletschers. Neben ihm rauschte ein Wasser; zugleich 
fühlte er, daß sein linker Arm gebrochen und die rechte Schulter verrenkt sei. 
Dennoch sann er auf Rettung. Kriechend, auf wunden Knieen den: Laufe 
des Gletscherbaches folgend, oft von dem überhängenden Eise in diesen selbst 
hineingedrängt, erreichte er endlich unter unbeschreiblichen Anstrengungen das 
große Thorgewölbe des Gletschers und trat am Fuße des Wetterhorns wieder 
ans Tageslicht hervor, nachdem er mehr als zwanzig Stunden unter der 
fürchterlichen Eisdecke zugebracht hatte. 
So schwierig und gewagt nun aber auch jede Gletscherbesteigung ist, so 
werden sie doch nicht etwa nur von Naturforschern oder von abenteuernden
	        
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