Full text: [Bd. 1, Abth. 1] (Bd. 1, Abth. 1)

20. Die Gletscher. 211 
Schneeschichten, von allen Strahlen der Sonne getroffen, sich aufzulösen 
beginnen, sinken die abschmelzenden Tropfen und Riesel — soweit sie nicht 
verdunsten — in die Tiefe. Hier zwischen den kälteren Schneelagern gefrieren 
dieselben allmählich aufs neue. Sie setzen sich kristallisirend um die einzelnen 
Firnkörnchen und verkitten sie zu jener glasigen, von Luftblasen durchzogenen 
Masse, um unter der Einwirkung der Tageswärme sich abermals aufzulockern, 
abermals aufzulösen und die Schmelzwasser in neue, größere Tiefen hinab- 
zuführen. So wiederholt sich wenigstens innerhalb der wärmeren Jahreszeit 
ununterbrochen der Wechsel des Schmelzens uud Wiedergefrierens; und so 
folgen denn in den Firnmulden auf den lockern kristallinischen Schnee der 
Oberfläche weiter hinab die Körner des zusammengesinterten Firns, bis sie, 
durch alle Stufen der Vereisung hindurchgehend, endlich int untersten Grunde 
eine einzige feste, zusammenhängende Masse zu bilden scheinen. Ganz das- 
selbe gilt aber auch — früher gemachten Andeutungen zufolge — für den 
Gletscher. 
Inzwischen wirkt hierbei auch noch eine andere Kraft hülfreich ein, das 
ist die des Druckes. Man weiß, daß jeder mechanische Druck, selbst von 
geringeren Graden, die Kälte zu steigern und unter Umständen das Gefrieren 
zu begünstigen vermag. Eisstücke, die im warmen Wasser einander genähert 
werden, frieren nach Faradays berühmten Versuchen fast bei der ersten 
Berührung zusammen, und der bloße Druck der Hand genügt dem Knaben, 
um aus den: feuchten, bereits mit Thauwasser durchzogenen Schnee den 
harten eisartigen Ball zu formen. Solchergestalt ballen sich denn auch sowohl 
in der Firnmulde als in: Gletscher die tieferliegenden Schichten unter dem 
Gewicht der auf sie drückenden Schneelasten immer fester und zuletzt zu wirk- 
lichem Eise zusammen. Aber dieses Eis ist im Unterschiede zu den tafel- 
artigen Formen, welche den Spiegel unserer Seen und Flüsse überdecken, 
von körniger Zusammensetzung: eine kristallklare, bläulich schimmernde 
Masse, von den verworrensten Lufträumen durchwoben, aus unzähligen 
Fragmenten ineinander gefügt und so fest ineinander gefügt, daß auch das 
schärfste Auge nicht die feinen Haarlinien erkennt, welche dieselbe unentwirr- 
bar durchkreuzen. Und doch reicht fast schon ein warmer Anhauch hin, das 
anscheinend eompaeteste Gletschereis zu lockern; denn alsbald dringt mit 
leisem Knistern die Luft in jene unsichtbaren Fugen ein, und der eben noch 
wasserhelle durchsichtige Block wird weiß und undurchsichtig und zerfällt bald 
darauf in einzelne (meistens nußgroße) Trümmer. 
In dieser eigenartigen Zusammensetzung des Gletschereises aber, in dem 
vielverzweigten Netze dieser Haargefäße erkannte nun Agassiz den Grund für 
die Bewegung der Gletscher. Es sei, meinte er, das in den Spalten 
herabfließende Schmelzwasser, welches vermöge jener Kraft der Ausdehnung, die 
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