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Zur physischen Geographie.
die das Meer hier säete und pflanzte. Mit der Flut ist nur der Reiche und
Glückliche im Bunde, der seine stolzen Schiffe auf ebener Bahn entsendet.
Die Ebbe enthüllt aber auch so manches von den Geheimnissen der Tiefe,
welche die Flut gleichmäßig unter ihrer Wasserdecke verbirgt. Da kommen
außer deu Zierlichen Conchylien die wunderlichen Ungethüme des Meeres zu
Tage, die sich auf dem Grunde versäumten; da sieht man die versandeten
Wracks und andere Trümmer gestrandeter Schiffe; da zeigen sich in: Sonnen-
schein die Korallen und Kräuter, die drunten im Dunkel ihre seltsamen
Zacken und Zweige umherstrecken. Auch sonst ist die Ebbe viel reicher an Eon-
trasten der Lichter und Farbe«, als die einförmige, einfarbige Flut. Selbst
in der Luft herrscht zur Zeit der Ebbe regeres Leben, denn auch die Vögel
eilen heran, um ihr zu folgeu. Auch sie finden, wie das arme Volk der
Küstenstädte, ihre Tafel auf den Sandbänken 'reichlich gedeckt. Die Strand-
länfer, die Möven, die Schnepfen und Störche flattern oder wandeln am
Strome oder auf den entblößten Lagunen, um auf das Seegewürm Jagd zu
machen. Während der Flutzeit, die ihnen einen Theil ihrer Nahrung entzieht,
sitzen sie dann ruhig im Lande, auf den Wiesen und hinter den Deichen,
Ilm der Wiederkehr der günstigen Stunde zu warten.
3. Der Golfstrom.
Den Gürtel der Wendekreise nennt Maury das Herz des Oceans. Von
hier gehen die großen Strömungen aus, die großeu Kanäle, welche das
warme, an Salzen und organischen Stoffen reiche Wasser nach den Endpunkten
führen; hierher gehen die Gegenströmungen kalten und an lösbaren Sub-
stanzen armen Wassers, um sich wieder zu erwärmen, umzuwandeln und
Wärme und Leben spendend zu ihrem Ausgangspunkte zurückzukehren. Es
ist in der That ein Kreislauf, ähnlich demjenigen des Blutes in: menschlichen
und thierischen Körper.
Das schöne Werk Maurys, „die physische Geographie des Meeres"
beginnt mit einer glänzenden und ergreifenden Schilderung der berühmtesten
dieser ungeheuren Arterien, derjenigen, deren Stamm und Verästungen den
größten Raum einnehmen, und die wir dje große Schlagader des Oceans
nennen können.
„Es giebt," sagt derselbe, „einen Fluß im Meere. Er versiegt nicht,
wenn sonst alles verdorrt; er tritt nicht über, wenn auch die mächtigsten