Full text: [Bd. 1, Abth. 1] (Bd. 1, Abth. 1)

3. Der Golfstrom. 43 
Fluten ihn schwellen. Seine lauen und blauen Gewässer fließen in gedrängtem 
Zuge zwischen Ufern und über ein Bett kalten Wassers. Es ist der Golfstrom. 
Nirgend sonst in der Welt existirt ein so majestätischer Wasserlaus. Er ist 
schneller als der Amazonenstrom, ungestümer als der Mississippi, und die 
Masse beider Flüsse ergiebt nicht den tausendsten Theil des Volumens des 
von ihm fortgeführten Wassers." Der Golfstrom ist so genannt worden, weil 
er seine Quelle im mexikanischen Golf zu haben scheint. Hier in dem glü- 
henden Becken, das von den innern Küsten Nord-, Mittel- und Südamerikas 
eingeschlossen wird, wurde er zuerst von dem Reisenden Pedro Martyr de 
Anghiera im Jahre 1523 und bald darauf von Sir Humphry Gilbert erkannt. 
Welche Ursache erzeugt ihn? Franklin wagte zuerst diese Frage zu 
beantworten. Er nahm an, daß der Golfstrom durch die Gewässer erzeugt 
und genährt werde, welche die Passatwinde in der Antillensee ansammeln. 
Diese Winde können aber nur einen sehr schwachen Antheil an der Bildung 
des großen oeeanischen Stromes haben. Zudem setzt Franklins Erklärung 
voraus, daß der Spiegel der Antillensee höher liege als der des atlantischen 
Oeeans. Dem ist aber nicht so und, merkwürdig genug, man hat bewiesen, 
daß der Golfstrom, anstatt, wie die gewöhnlichen Strömungen, dem Gesetze 
der Schwere zu gehorchen und eine geneigte Fläche herabzufließen, vielmehr 
durch eine unbekannnte Kraft die Fläche hinaufgetrieben wird, welche sich von 
Süden nach Norden erhebt. 
Seefahrer gebrauchen, um die Richtungen der Strömung zu bestimmen, 
ein ebenso einfaches wie sinnreiches Mittel. Sie werfen fest verschlossene 
Flaschen in das Meer, welche ein zusammengerolltes Papier und auf demselben 
eine Angabe des Datums und des Ortes enthalten, an welchen das Hinein- 
werfen erfolgte. Der englische Admiral Veechy hat eine Karte gefertigt, welche 
annähernd die Wege angiebt, die eine große Anzahl solcher auf hoher See 
oder an den Küsten aufgefangener schwimmender Flaschen zurückgelegt haben. 
Diese Karte beweist, daß von allen Punkten des atlantischen Oeeans aus 
die Gewässer nach dem Meerbusen von Mexiko und nach dem Golfstrome 
fließen. Man ninß also auf die von Maury angegebenen Ursachen zurück- 
kommen: auf die ungleiche Temperatur des flüssigen Elementes und in Folge 
dessen auf die Concentration, Verdunstung und Ausdehnung desselben unter 
den verschiedenen Breitegraden; daraus ergiebt sich das beständige Hinströmen 
des wannen Wassers der Tropengegenden nach den Polen und des kalten 
Wassers der Pole nach dem Aequator. 
Ohne Zweifel wirkt jedoch nicht die Sonnenwärme allein auf den großen 
Kessel des mexikanischen Meerbusens. Die denselben ringsumgebenden Küsten 
und Inseln starren von halb erloschenen Kratern und verrathen dem 
Beobachter den unter den Fluten kochenden Glühofen. Möglicher Weise ver¬
	        
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