72 Zur physischen Geographie.
nen Abgründe sich aber noch über sechs englische Meilen hinabdehnen, so
würde ein Mensch auf dem Boden dieser Abgründe einen Druck auszuhalten
haben, welcher demjenigen von sechzig solcher Güterzüge gleich ist." Genauer
ausgedrückt ist in 32,000 Fuß Tiefe der Druck gleich tausend Atmosphären.
Jede Atmosphäre lastet aber auf einem Quadratfuß Bodenfläche mit einem
Gewicht von 2176 Pfund. Es war demnach gewiß sehr natürlich, daß man
das Dasein eines organischen Lebens unter solchen: Drucke bezweifelte. Diese
Zweifel schienen ihre feste Begründung durch die Untersuchungen des Eng-
länders Edward Forbes zu gewinnen, des ersten Naturforschers, welcher
mittelst des Schleppnetzes oder der Dredge die genauere Erforschung der Fauna
und Flora in verschiedenen Meerestiefen unternahm. Forbes wies nach, daß
die Thier- und Pflanzenbevölkerung der Küsten beim Hinabsteigen in die
Tiefe sich in ähnlichen Stadien verändere, wie die Fauna und Flora der
Gebirge beim Hinaufsteigen in die Höhe. Einer anderen Tiefe entspreche eine
andere organische Formenreihe. Demgemäß theilte Forbes die unterseeische
Küstenabdachung in eine Anzahl von mehreren horizontalen, übereinander
liegenden Zonen oder Tiefengürteln. Die letzte und tiefste von diesen Zonen
sollte zwischen 600 und 1800 Fuß liegen. Innerhalb derselben nehme das
organische Leben immer mehr ab. Die Pflanzen sollten schon bei 1400, die
Thiere bei 1800 Fuß Tiefe völlig aufhören, und unterhalb zweitausend Fuß
sollte alles organische Leben erloschen sein.
Diese Angaben von Forbes erwarben sich fast allgemeine Annahme.
Aber aus unvollkommene Methoden und auf unvollständige Beobachtungen
gegründet, haben sie sich jetzt als durchaus falsch erwiesen. Die Tiefgrund-
Untersuchungen des atlantischen Oeeans, welche in neuster Zeit mit vervoll-
kommneten Instrumenten und besseren Methoden ausgeführt wurden, haben
im Gegentheil ergeben, daß das organische Leben zwar in formenarmer,
aber um so massenhafterer Entwicklung auch die letzten Abgründe des Oceans
erfüllt.
Daß eine derartige bis zu den äußersten Tiefen hinabdringende Erfor-
schung sehr schwierig ist, begreift sich. Sie kann gar nicht verglichen werden
mit der verhältnißmäßig leichten Untersuchung des gewöhnlich seichteren Küsten-
bodens. Dieser letztere kann am besten und vollständigsten in der Taucher-
glocke untersucht werden. Jedoch sind die Versuche, welche man in der
Taucherglocke auf dem Meeresgrunde anstellen kann, bei der unzureichenden
Ausbildung dieses wichtigen Geräths immerhin mißlich und gefährlich. Selbst
der eifrigste Naturforscher entschließt sich dazu nur schwer. Man wendet des-
halb zur zoologischen Ausbeutung des Meeresbodens in geringeren Tiefen
gewöhnlich das Schleppnetz oder Scharrnetz an (auch Drague, Dredge oder
Dredfche genannt). Das ist ein einfaches Gerüst von zwei oder drei starken