Full text: Entdeckungen und geographisch bedeutsame Unternehmungen nach Auffindung der Neuen Welt bis zur Gegenwart (Bd. 2)

164 Die ozeanische Inselwelt. 
indem sie bei ihrem Gelüst nach Menschenfleisch dieselben nach innen auf- 
zehren. Außerdem wird der Mensch von ihnen noch durch Wassersnot, 
Fenersbrunst oder die tödliche Streitaxt eines Feindes verfolgt. Dies alles 
geschieht aus Willkür und nach Laune, nicht aber, um die Menschen als 
Missethäter zu strafen, denn die Götter waren ja einst selbst Missethäter, 
und man erzählt sich von ihnen allerlei Schandthaten, die der Neuseeländer 
nur mit dem Tode bestrafen, oder wegen denen er Vernichtungskriege be- 
ginnen würde. Man betet auch Wasserfälle, Sturmwinde und Vulkane 
an; viele Orte, namentlich die Gipfel der ehemaligen feuerspeienden Berge, 
sind tabu, d. i. heilig; wer sie betritt, den trifft die Todesstrafe. Die 
Sitte des Tabu ist über ganz Ozeanien verbreitet, von Neuseeland bis zu 
den Sandwichinseln, und ist ein religiöser Bann. Nach ihm kann von den 
Häuptlingen oder Priestern alles für tabu erklärt werden; so wurden z.B. 
ans verschiedenen Inseln die Schiffe der Europäer tabuiert, und sofort floh 
das gesamte diebische Gesindel, welches mit Begierde jeden Gegenstand im 
ersten Augenblick betrachtete, im andern stahl. Fast mehr als jeder andre 
Insulaner ist aber der Neuseeländer dem Tabu unterworfen. Er hat keine 
Ahnung von der dabei zu Grunde liegenden Idee, allein er glaubt bloß, 
daß die Beobachtung des Tabu den Ätnas angenehm sei, und dies ist 
Grund genug. Selbst die ueubekehrteu Christen sind noch nicht vom Tabu 
frei. Die Priester (Tohuugas) der Neuseeländer betrachteten überhaupt 
die christlichen Missionäre für Atua-Tohungas, d. i. Diener Gottes. 
Sie brachten dem Gotte der Christen ebenfalls die ihm gebührenden Huldi- 
gnngen; als man aber verlangte, sie sollten ihre Ätnas aufgeben, weigerten 
sie sich und sagten: Ohne Zweifel ist der Gott der Christen mächtig, er 
kann ihnen genügen, aber wir brauchen auch unsre Ätnas; würden wir sie 
verlassen, so träfen uns tausend Übel. Selbst leblose Gegenstände sind 
tabu. Dies erfuhr der amerikanische Schiffsleutnant Wilkes, als er ver- 
suchte, den Vorderteil eines Kanoe an sich zu bringen. Derselbe war 
zierlich geschnitzt, stellte ein Tier mit einem Menschenkopfe dar, der die 
liebenswürdige Gewohnheit der Neuseeländer, die Zunge weit heraus- 
zustecken, zeigte, und hatte ehemals einem Häuptlinge gehört, lag aber 
jetzt unbenutzt in einem Vorratshause. Man machte der Witwe An- 
erbietungen, und endlich ward man über 6 Dollars einig; allein da er mit 
dem ersten Grade des Tabu belegt war, so wollte sich kein Neuseeländer 
dazu hergeben, ihn fortzuschaffen. Als der Transport ans Wasser dennoch 
geschehen war, konnte man es nicht durch das Wasser nach dem Boote 
schaffen, denn dies war gleichfalls gegen das Tabn. Nur als man das 
Geld wieder zurückforderte, willigte ein alter Häuptling in die Fort- 
schaffung. 
Neuseeland ist eine ungemein wichtige Station für unsre Walfisch- 
fahrer auf der südlichen Halbkugel. Fast alle legen hier an, obwohl nicht 
zu verschweigen ist, daß die Sitten vieler dieser rohen Menschen den Mis-
	        
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