ausgegeben; alles gerät in Ausregung und harrt mit Sehnsucht auf das
Erscheinen der Geistlichen. Endlich erscheinen sie, predigen Tag sür Tag
in den Kirchen oder in Privathäusern, worin rasch Kapellen hergerichtet
worden sind. Überdies werden Abendgesellschaften abgehalten, worin
wiederum gebetet und gepredigt wird; Liebesmahle aus Thee und Kuchen
bilden dabei den Abschluß. Uns kommt es vor, als seien wir unter lauter
Verklärte geraten; alles redet nur vom heiligen Geiste, denkt nur an ihn,
ruft ihn an, spricht mit ihm. „Laß dich erkennen!" bittet der eine: „Was
soll ich thun?" fragt ein anderer. „Hier ist er! Ich habe ihn!" schreit
ein dritter. „Revival! Revival!" rufen die Verzückten einander beim
Begegnen zu. Ju der Kirche sehen wir einen Prediger mit wilden Blicken
aus der Kanzel hin- und hergehen; bald schreit, bald seufzt er. Donnernd
redet er von den Schrecken der Hölle, die der nicht Wiedergeborenen
warten sollen. In die Ferne starrend, schildert er die Qualen der Ver-
dämmten mit furchtbareu Worten, in grausigen Bildern, mit glühender
Einbildungskraft. Endlich wankt er keuchend und erschöpft; eiu geistlicher
Mitbruder eilt herzu, ihn zu stützen; ohnmächtig sinkt er in die Arme
des Hilfsbereiten. Nun ersteigt ein anderer Redner die Kanzel; in
feurigen Worten schildert er die Seligkeiten des Paradieses, das Glück
der Auserwählten. Dumpfes Murmeln erhebt sich unter den Zuhörern,
es geht in Schluchzen über, Ausruse der Reue, der Verzweisluug, der
Verzückung klingen wirr durcheinander. Da steigt der Prediger von der
Kanzel herab und fordert die Zerknirschten aus, zu ihm zu kommen. Jetzt
ertönt eine Hymne in Marschtempo; blasse, halb ohnmächtige Frauen und
Mädchen wanken zu ihm hin und knieen vor ihm nieder. Er beugt sich
zu ihnen nieder nnd raunt ihnen dunkle Worte von der Wiedervereinigung
mit dem süßen Jesus ins Ohr. Nun gebärdet sich die ganze Schar der
Andächtigen wie vom Schwindel ergriffen, viele verfallen in Zuckuugeu.
Flehend tönt der Ruf: „Jesus, Jesus, hilf, komm zu mir!" Sinkt einer der
bethörten Schwärmer ohnmächtig nieder, so ruft der Prediger jauchzend:
„Der heilige Geist hat gewirkt!" und die Gemeinde schreit: „Glory!
Glory!" (Ruhm, Seligkeit!") Bei deu Campmeetings, die zuweilen 14
Tage währen, wohnen die Teilnehmer in Zelten, und es geht dabei ganz
so aufgeregt her, wie bei den Revivals. — Die Sonntagsheiligung ist in
der Union außerordentlich streng, eine Menge von religiösen Gesellschaften
übt mehr oder weniger einflußreiche Zhätigkeit aus. Aber das Gesetz
wird oft umgangen, wie denn z. B. Wirte anzeigen, in ihrem Lokale
würden religiöse Vorträge gehalten werden, in Wirklichkeit aber hält man
Trinkgelage; da alle nichtgeistliche Musik am Tage des Herrn verboten
ist, erklärt man z. B. den lustigsten Stranßschen Walzer einfach für Kirchen-
mnsik u. dgl. m. Ganz besonders charakteristisch für das religiöse Leben
in den Vereinigten Staaten ist aber die Thatsache, daß sich ihre Bürger
religiös meist von der großen Masse der Christen getrennt haben und in
oft lächerliche Sektirerei voller Ungefnndheit und Verkehrtheit verfallen
sind. Die Zersplitterung wächst fortwährend noch, die eine Sekte haßt