Full text: Bilder aus Amerika (Bd. 1)

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schreiblich traurig und verlassen liegt er oberhalb der Stadt am Berges- 
hange! Auf einer Anzahl von Felsenstufeu stehen die rohen Särge, nur 
mit Steinhaufen bedeckt. Wer keine teuren Bretter zum letzten hölzernen 
Häuslein für den gestorbeneu Verwandten zu kaufen vermag, der wickelt 
den Leichnam in Felle und begräbt ihn unter einem Steinhaufen von 
1 — V/2 Meter Höhe und Breite. Auf manchen dieser schwerlastenden 
Hügel ruht ein Gegenstand, der dein Abgeschiedenen besonders lieb war, 
Jagdgerätschaften auf deu Gräbern der Männer, Hanshaltuugsgegeustäude 
auf denen der Frauen. So ruhen sie einsam im Eissturme des Polar- 
winters, im rätselhaften Glänze des Nordlichts, im matten, düsteru Scheine 
der Mitternachtssonne auf rageudetn Felshange, umfangen vom bleiernen, 
ewigen Schlafe. 
Der Gouverneur führt uns auf unfern Wunsch auch in die Be- 
hausungen der Eingeborenen. Eben bewohnen sie die für den Sommer 
berechneten Fellhütten, Taupeks genannt; bei Jagdzügen an den Küsten 
dienen sie auch als Nachtquartier. Die Winterhütten sind ans Felsen 
und Rasenstücken erbaut; meterdicke Wände sind bestimmt, den etwa 
4 Meter im Quadrat haltenden Raum vor dem grauenhaften Froste des 
Polarwinters zu schützen. Durch einen ungefähr 4 Meter langen und 
nur 1 Meter hohen Gang gelaugt man ins Innere; aber das Vordringen 
ist mühselig, denn wir müssen auf allen vieren vorwärts kriechen. Die 
Wände sind, wie wir beim Scheine der mitgenommenen Laterne sehen, 
innen mit Seehundsfell austapeziert; die Feuerung wird, wie wir's draußen 
im Taupek sehen, nur mit getrocknetem Moos und Seetierspeck unterhalten. 
Über der Flamme schmort der Braten aus Walroß- oder Seehundsfleisch. 
Obwohl die ihn umgebende Natur verdüsternd auf sein Gemüt ein- 
wirken müßte, ist der Eskimo doch ein Freund heiterer, lebhafter Ge- 
felligkeit. Bei unserem längeren Aufenthalte in Upernivik lernen wir alle 
feine Wesenseigentümlichkeiten, sein ganzes Dasein ziemlich genau kennen. 
Gern plaudert er mit seinesgleichen, gern unterhält er sich mit anderen 
durch Spiel und Tanz. Ein Ball nach europäischer Art, wie er bereits 
von uns geschildert wurde, versetzt ihn in einen Rausch von Entzücken. 
Gastfreundschaft wird gegen die Stammesgenofsen wie gegen den Fremd- 
ling geübt. Kaum sind wir in eine Fellhütte eingetreten, so werden wir 
freundlich willkommen geheißen, und eifrig bereitet uns die Hausfrau ein 
Täßcheu „Mokka" als Willkommtrunk. In Zeiten der Not teilen diese 
Naturmenschen den letzten Bissen miteinander; besondere Rücksicht wird 
bei Austeilung von Lebensmitteln auf Witwen und kranke Personen ge- 
nommen. Ist diircf) Kauf oder Verkauf ein Geschäft gemacht worden, fo 
folgt eine kleine Mahlzeit zum Beschluß. Die Eheu werden frühzeitig 
abgeschlossen; im allgemeinen behandeln die Männer ihre Frauen mit 
Schonung, ja mit Zärtlichkeit. Die Zahl der Kinder in den einzelnen 
Familien ist gering; viele der Kleinen werden, zum tiefsten Herzeleid der 
Alten, vom Tode hinweggerafft. Mit überaus großer Liebe hängen die 
Eltern an dem jungen Nachwuchs; sie geben z. B. die Aussicht auf ein
	        
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