Full text: Heimatkultur in der Schule

20 
Heimatkunde auf der Unterstufe. 
Das Wort Heimat birgt eine unendliche Sülle lieblicher und süßer Ge- 
danken, die bei den verschiedenen Individuen sich ganz verschieden 
reproduzieren. Und wenn der halligbewohner noch so lange in der Fremde 
war, und die wilde, flutbewegte See ihm noch so oft sein Hab und Gut 
raubte, er kehrt doch immer wieder zu seiner Hallig zurück. Ja, der Ge- 
danke an die Heimat ruft so manche recht treue Erinnerung wach. Und 
wenn es manchem Deutschamerikaner in seiner neuen Heimat noch so gut 
geht, er kehrt fast ausnahmslos, und sei es kurz vor seinem Ende, noch 
einmal zur alten Heimat zurück, selbst wenn er dort keinen einzigen 
lebendigen Angehörigen mehr hat. Die Heimat versetzt uns in jenes Ge- 
mach, in dem unsere ersten Betätigungsoersuche, unsere Beschäftigungen, 
unsere Spiele stattfanden, in den kleinen Hof, auf den unsere zwei- und 
vierbeinigen Freunde unter den Tieren hausten, in den Garten, in dem 
uns kein Baum unbekannt ist, in das freundliche Dörfchen, in dem wir jedes 
einzelne Haus kennen und jeden einzelnen Menschen kannten, in die Flur, 
über die wir so oft fröhlich dahineilten, auf den Berg, von dem wir so oft 
und so gern Umschau in das heimatliche Panorama hielten, in die Zeit glück- 
licher, ungetrübter Jugend, an die Freuden und Leiden der Schule, der 
Konfirmandenzeit usw. usw. In der Heimat, da kennen namentlich die Dorf- 
Kinder jeden Baum, jeden Strauch, jedes Fleckchen, das sich zum Spiel 
eignete, und an alle (Drte und Dinge knüpft sich ein Erlebnis, und die 
Erinnerung an dasselbe versetzt den einzelnen fast ausnahmslos in eine lust- 
betonte Stimmung, die zum Ausdruck kommt durch das Urteil: „Es war 
doch schön", oder „schön war's doch"! „Und wären es kahle Klippen oder 
die Eisfelder des Nordens, wäre es ödes Moorland oder die weite sandige 
Wüste, wo du das Licht der Welt erblicktest, du würdest doch für seit und 
Ewigkeit an Felsen und Schneefelder, an Heiden und Wüstengrund gebannt 
sein, und kein Paradieszauber könnte je dein herz so ganz und gar 
füllen." (Goltz.) 
Und wie gefühlsbetont sind die Vorstellungen von der Heimat, Wie 
könnte das auch anders sein! Das ist niemals der schlechteste Mensch, dem 
beim Gedanken an die Heimat die Tränen über die Wangen rollen und er 
beim besten Willen das Weinen und Schluchzen nicht unterdrücken kann. 
Die Heimat ist durch den Körper hindurch in die Seele gestiegen, sie ist so 
eng verknüpft mit Leib und Seele, daß bei dem Gedanken an die Heimat 
die Nerven so stark vibrieren, daß die schon erwähnte Entladung durch den 
Affekt eintreten muß. Alle diese Elementargefühle, die sich in und an der 
Heimat gebildet haben, und die so fest mit heimatlichen Vorstellungen 
assoziiert sind, schwingen mit, wenn das Heimweh den in der Fremde weilen- 
den überfällt. Und wir verstehen die Gefühle des Misraeliten, den man 
in Babel aufforderte, ein Lied von Zion zu singen, wenn er der Kufforderung 
nicht Folge leisten kann, ja sie als Verbannter als einen tieftreffenden Hohn 
empfindet. Leider setzen sich in unserem Urbanen, der Weltwirtschaft zu- 
steuernden Industriezeitalter die heimatlichen Vorstellungen und Emp- 
findungen bei vielen Menschen nicht genügend fest: heute hier, morgen 
da. Wie schwer darunter die Erziehung, die Schule leidet, das empfindet 
am meisten der Lehrer, dessen vierter oder fünfter Teil der Schule Jahr 
um Jahr die Heimat wechselt. 
Wenn der neugeborene Mensch seine kleinen Augen öffnet, dann stürmt 
die Welt auf ihn ein und begehrt Einlaß in seine Seele, dann empfängt ihn
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.