Contents: Lesebuch für die Volks- und Bürgerschulen in Mecklenburg-Schwerin

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es wieder eine Strecke weiter, bis der Muth von neuem sank und 
von dem alten Helden aufs neue angefacht wurde. Endlich hatte 
Ulan die schlimmste Strecke überwunden. Der Donner der Ge¬ 
schütze war ganz in der Nähe zu hören. 
Nachmittags um ein Uhr bemerkte Napoleon einen blauen 
Streif am Horizont. Er dachte, es werde wohl eine Abtheilung 
seiner eigenen Truppen sein, die er erwartete. Denn daß die 
Preußen zwei Tage nach einer verlornen Schlacht wieder auf dem 
Platze sein könnten, das kam ihm gar nicht in den Sinn. Bald 
sollte er aus seiner Täuschung gerissen werden. Seine Boten, die 
er ausgesandt hatte, kamen wieder unb meldeten, daß die Preußen 
ihm in den Rücken fielen. Noch hätte Napoleon die Schlacht ab¬ 
brechen können, ohne» zu fürchten, daß er sein ganzes Heer ver¬ 
lieren werde. Aber das wollte er nicht. „Entweder •— oder" 
hieß es in seiner Seele. In diesem Sinne ließ er die Garde vor¬ 
rücken, vier und zwanzig Bataillone, und setzte seine ganze Zukunft 
auf einen einzigen Wurf. Die Garde, welche selbst von sich sagte, 
daß sie sterben könne, aber sich nie ergebe, machte ihrem alten 
Ruhm alle Ehre. Unter einem Hagel von Kugeln drang sie un¬ 
aufhaltsam^ vor. Neunundzwanzigznal wurde ganz in der Nähe 
mit Kartätschen unter sie geschossen. Die Hälfte von ihnen war 
gefallen. Da erst, als gar keine Aussicht zum Siege mehr war, 
wich sie zurück. Sobald die Garde floh, war für die andern an 
kein Halten mehr zu denken. In wilder Unordnung begab sich 
das französische Heer auf die Flucht. Die übermatten Engländer 
suchten jetzt die ersehnte Ruhe. Blücher aber hatte sein Tagewerk 
noch nicht vollbracht. Er wollte dem Gegner jetzt den Garaus 
machen und befahl, ihm nachzusetzen, so lange Roß und Mann 
einen Athem in der Brust hätten. Bein: hellen Lichte des Voll¬ 
mondes dauerte die Verfolgung die ganze Nacht hindurch. Wo 
sich die todmüden Franzosen auch gelagert hatten, überall waren 
ihnen die Preußen auf den Hacken. Fast wäre Napoleon selbst 
gefangen genommen. Er hatte nur gerade so viel Zeit, sich auf 
ein Pferd zu werfen und fortzujagen. Sein Wagen, Hut, Degen 
und Brieftasche fielen den Preußen in die Hände. Bei dem Vor¬ 
werke Belle Alliance trafen Blücher und Wellington aus ein¬ 
ander. Nach dem Nnmen dieses Ortes nannte Blücher die Schlacht 
mit Hinblick auf die Bedeutung desselben „die Schlacht bei Belle- 
Alliance". Denn Belle-Alliance heißt zu deutsch : „der schöne Bund". 
Unterdessen kamen auch die andern Heere der Verbündeten 
heran. Sie fanden wenig mehr zu thun; denn die Macht des 
Feindes war gebrochen. Nach vielen kleinen Gefechten zogen die 
Verbündeten am 7. Juli zum zweiten Male in Paris ein. Den 
vertriebenen Ludwig XVIII, der mit ihnen zurückkam, setzten sie 
wieder als König auf den Thron seiner Väter und verhandelten 
mit ihm wegen des Friedens. Am 20. November 1815 wurde 
der zweite Pariser Friede abgeschlossen. Diesmal verfuhr man 
nicht so großmüthig mit den Franzosen, als das Jahr vorher. Sie 
mußten alle geraubten Schätze wieder herausgeben, eine große 
Kriegssteuer zahlen und mehrere Jahre lang fremde Truppen in 
ihrem Lande behalten. Dagegen die längst abgerissenen Stücke 
des deutschen Reiches, Elsaß und Lothringen, wurden auch dies¬ 
mal bei Frankreich gelassen.
	        
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