fullscreen: Lesebuch für Volksschulen

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gen merkte noch nichts. Ihr Mutterherz hatte noch keine 
Ahnung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren war, son¬ 
dern bis nach Colmar hinein war sie still und redete 
nimmer> In der Stadt im Wirthshaus, wo schon eine 
5. Gesellschaft an der Mahlzeit saß, und die Reisegefähr¬ 
ten setzten sich auch noch, wo Platz war, da war ihr 
Herz erst recht zwischen Bangigkeit und Hoffnung ein¬ 
geengt: daß sie jetzt etwas von ihrem Sohn erfahren 
könnte, ob ihn niemand kenne, und ob er noch lebe, und 
10. ob er etwas sei, und hatte doch den Muth fast nicht, zu 
fragen. Denn es gehört Herz dazu, eine Frage zu thun, 
wo man das Ja so gerne hören möchte, und das Nein 
ist doch möglich. Auch meinte sie, jedermann merke es,, 
daß es ihr Sohn sei, nach dem sie frage, und daß sie 
15. hoffe, er sei etwas geworden. Endlich aber, als ihr der 
Diener des Wirths die Suppe brachte, hielt sie ihn heim¬ 
lich am Nocke fest, und fragte ihn: „Kennt ihr nicht ei¬ 
nen bei der Armee, oder habt ihr nicht von einem ge--, 
hört, so und so?" Der Diener sagte: „Das ist ja un- 
20. ser General, der im Lager steht. Heute hat er bei uns 
zu Mittag gegessen," und zeigte ihr den Platz. Aber die 
• gute Mutter gab ihm wenig Gehör darauf, sondern 
» meinte, es sei Spaß; der Diener ruft den Wirth. Der 
Wirth sagt: „Ja, so heißt der General!" Ein Offizier 
25. sagte auch: „Ja, so heißt unser General," und auf ihre 
Fragen antwortete er: „Ja, so alt kann er sein," „Ja, 
so sieht er aus, und ist von Geburt ein Schweizer." Da 
konnte sie sich nicht mehr halten vor inwendiger Bewe¬ 
gung, und sagte: „Es ist mein Sohn, den ich suche;" 
30. und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig ein¬ 
fältig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und 
Scham. Denn sie schämte sich, daß sie eines Generals 
Mutter sein sollte, vor so vielen Leuten, und konnte es 
doch nicht verschweigen. Aber der Wirth sagte: „Wenn 
35. das so ist, gute Frau, so laßt herzhaft eure Bagage ab¬ 
laden von dem Postwagen, und erlaubt mir, daß ich mor¬ 
gen in aller Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse7 und 
euch hinausführe zu eurem Herrn Sohn in das Lager." 
Am Morgen, als sie in das Lager kam, und den 
40. General sah, ja, so war es ihr Sohn, und die junge 
Frau, die gestern mit ihm geredet hatte, war ihre Schwie¬ 
gertochter, und das Kind war ihr Enkel. Und als der
	        
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