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Heimatkunde des Großherzogtums Hessen. Nr. 10.
hatten in älteren Zeiten die Raubritter die Landstraßen ansicher ge-
macht, so taten es jetzt Zigeuner und anderes fahrende Gesindel, welches
zu Banden vereinigt das Land durchzog, einzeln die Gelegenheit ausspähte
und dann in Trupps vereinigt raubte und plünderte. Nicht selten gab es
dabei Tote und verwundete. Die Negierungen standen dem Treiben dieser
arbeitsscheuen Gesellen machtlos gegenüber. EDie frech die's trieben, erhellt
aus der Tatsache, daß am 16. Oktober 1725 eine 50 Mann starke Zigeu-
nerbande am hellen Tage mit geladenem Gewehr in Hirzenhain einrückte,
am selben Tage einen Landleutnant*) in Glashütten erschoß und in diesem
Dorfe mit Schießen und Lärmen so hauste, ,,als wenn sich eine Krmee
schlüge". Noch bedurfte es fast eines ganzen Jahrhunderts — und viele
Vagabunden mußten zu Gießen, Gffenbach, Darmstadt und anderwärts hin-
gerichtet werden —, bis endlich überall Ruhe und Sicherheit zu verspüren
war. Während der Kriege, welche im ^8. Jahrhundert auf Deutschlands
Gauen ausgefochten wurden, blieb unsere Gegend keinesfalls verschont.
Bald lagen Franzosen, bald Neichsvölker bei den Bauern im (Quartier.
Schwer waren die Lasten zur Zeit des siebenjährigen Uriegez. Der fran-
zösische Marschall Soubise hatte sich, von Norden kommend, am 2. Januar
1759 der Stadt Frankfurt bemächtigt' sein Heer zu vertreiben war die 5luf-
gäbe des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, der über eine 29000 Mann
starke Krmee verfügte. In 3 Kolonnen rückte er von Fulda aus auf den
,,Frankfurter" Straßen gegen den Main vor. Nach einer blutigen Zchlacht
bei Bergen (unweit Frankfurt) am 13. Hpril 1759, in welcher die Fran-
zosen ihre Stellungen behaupteten, mußten sich die Verbündeten (Preußen,
Hannoveraner usw.) auf Marienborn zurückziehen, woselbst sie ein Lager
bezogen. Dann gingen sie durch die Wetterau nach Norden und zogen über
Grünberg, Alsfeld und Ziegenhain nach Kassel, woselbst sie Ende Rpril an¬
kamen. Auch in den weiteren Kriegsjahren, besonders 1762, wurde unsere
Gegend schwer heimgesucht. Besonders übel erging es jedoch vielen Grten
des Kreises bei der sogenannten französischen Retirade im herbst 1796.
Der französische General Jourdan war am 3. September von Erzherzog
Karl von Österreich bei Würzburg geschlagen worden und trat mit seinem
Heere den Nückzug durch den Spessart, den Vogelsberg und die Wetterau
an. Da sich überall viele Bauern zusammenscharten und Widerstand leisteten,
wurden die französischen Flüchtlinge aufs heftigste gereizt. So kam es, daß
sie auf ihrem Zuge am 7. und 8. September alle Ortschaften der Ämter
Wenings, Lißberg und Nidda, die sie berührten, vollständig ausplünderten.
5lm härtesten wurde das Städtchen Lißberg selbst, dessen Bewohner sich
widersetzten, am 8. September mitgenommen. Nach der Plünderung wur¬
*) Polizeibeamter, unserem Gendarmen vergleichbar.