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Schwarm im Weiterschreiten, da nun auch die Kinder aus den Häusern
kamen und sich dem Zuge anschlossen, ohne auf die Befehle der Eltern
zu achten. Diese selber standen meistens ganz stumm und starr und
schauten verwundert und, ohne ein Glied zu regen, auf das seltsame
Getümmel hinab. Vor den Häusern des Bürgermeisters und des Stadt—
schreibers blieb der Rattenfänger ein paar Minuten stehen, und seine
Pfeife erschallte hier so lockend und so süß, daß selbst die erwachsenen
Töchter der beiden Ratsherrn ihren Tönen nicht widerstehen konnten,
sondern wie verzaubert und verhext aus den Häusern herausstürzten
und sich mitten unter die Kinder mischten. Da lächelte der Ratten—
fänger abermals recht greulich und boshaft und ging nun unaufhaltsam
aus der Stadt hinaus ins Freie, einem Berge zu, der in der Nähe
derselben gelegen war. Der ganze Schwarm der Kinder folgte ihm
hüpfend und jubilierend nach.
Einige Väter und Mütter, in deren Herzen die Liebe zu ihren
Kindern doch noch stärker war als die Gewalt der zauberhaften Töne,
suchten ihre Kleinen aus dem Schwarme herauszureißen und festzuhalten,
aber die Kinder stießen unwillig die besorgten Eltern von sich und
wußten ihnen so geschickt zu entschlüpfen, daß alle Mühe, sie einzufangen,
ganz vergeblich war. Der ganze Zug ging auf den Berg zu, der
Poppenberg genannt. Als der Rattenfänger dorthin kam, spaltete der
Berg auseinander, und die Kinder folgten dem Pfeifer nach, der gerade
wegs in den Berg hineinschritt. Als das letzte darin wan, klappte der
Berg wieder zu, und die Kinder waren für immer verschwunden.
Jetzt auf einmal wich die Bezauberung von den Einwohnern der
Stadt, und in hellen Haufen rannten die armen Leute vor die Thore
und suchten mit betrübten Herzen nach ihren Kindern. Jammernd und
schreiend liefen die Mütter umher, und die Männer durchstreiften die
ganze Gegend, um doch wenigstens vielleicht einige von den Kindern
wiederzufinden. Aber jede Mühe war vergebens, da die Kinder alle
auf Nimmerwiederkehr in dem Berge verschwunden waren. Hundert—
unddreißig hatte der Rattenfänger hinter sich hergelockt, und von allen
in der ganzen Stadt sollen nur drei geretiet worden sein. Das eine
nämlich war blind und hatte den Eingang zum Berge nicht finden
können; das andere war taub und hatte also die verlockenden Klänge
nicht gehört, und das dritte war ein Knäblein, so in bloßem Hemde
mitgelaufen war. Unterwegs hatte es gefroren und war zurückgerannt