Das Erzgebirge. 51
ein sehr künstliches. Je mehr Klöppel auf jeder Seite des Musterbriefes
hängen, und je rascher die Hände die Klöppel herausgreifen, durchein-
ander- und wieder auf die Seite werfen, um so schwerer kann der
Fremde die Arbeit mit den Augen verfolgen. Die Klöpplerinnen aber
betreiben die Kunst gewöhnlich seit frühester Kindheit, vor dem Lesen
und Schreiben haben sie schon das Klöppeln gelernt; daher die erstaun-
liche Fertigkeit. Doch auch uugeleuke Hände vermögen es zu erlernen,
denn früher klöppelte auch der Berghäuer nach vollbrachter Schicht, der
Maurer und Zimmermann und selbst der Bauernknecht im Winter.
3. Geschichtliches. Wie das Spitzenklöppeln aus den Niederlanden, wo es
schon vorher betrieben wurde, in das Erzgebirge gekommen ist, ist noch dunkel.
Die Sage weiß es aber natürlich ganz genau: durch eine um der Religion willen
vertriebene Frau! Soviel ist aber gewiß, daß der Witwe eines Bergwerks¬
besitzers, der klugen und tatkräftigen Barbara Uttmann, das Verdienst zukommt,
das Klöppeln in Annaberg und Umgegend eingeführt und verbreitet zu haben.
Ihr sind in Annaberg zwei Denkmäler gesetzt worden, und außerdem gibt es daselbst
noch ein Barbara Uttmann-Hans. Beide Denkmäler sind erst im 19. Jahrhundert
errichtet worden; das eine steht auf dem Friedhofe und ist von einer großen
Spitzenhandlung, die ihren Wohlstand dem Handel mit Klöppelspitzen und Posa-
menten verdankt, das andere erhebt sich auf dem Markte und ist von der Stadt
selbst gestiftet worden. Das Jahr JJ561_ wird als Jahr der Einführung des
Klöppelns angenommen. Die nene Kunst verbreitete sich sehr schnell unter den
Frauen und Kmdern der Bergleute, denn hier war ein Nebenverdienst sehr
nötig, da die Bergmannslöhne von Jahr zu Jahr geringer wurden. Barbara
Uttmann allein beschäftigte zu Zeiten gegen 900 Klöpplerinnen; die Spitzen
fanden so guten Absatz, daß nicht Hände genug dazu sein konnten. Der Nieder-
gang des Silberbergbaues führte deren immer mehr dem Klöppeln zu. Bald
war es_ über das ganze Erzgebirge von Schneeberg bis Altenberg verbreitet.
Die Arbeit muß den Erzgebirgern außerordentlich gefallen und zugesagt haben:
die Bewohner wären von Natur anstellig und mit flinken Händen begabt; sie
konnten beim Klöppeln ihren Hang zur Geselligkeit walten lassen: das Arbeits-
zeug erforderte nnr wenig Anschaffungskosten und wenig Raum, in einer mäßig
großen Stube konnte ein Dutzend Klöpplerinnen sitzeu.
Um das Jahr 1899 sah es um das Klöppeln im Erzgebirge folgendermaßen
aus: Es gab tatsächlich nur wenige Häuser, in denen nicht irgend jemand
klöppelte. Alle Klöpplerinnen hießen Klöppelmädchen, mochten sie auch schon
weiße Haare haben. Es gab nun sog. „Spitzenherren", welche an die Klöppel-
Mädchen Zwirn oder Seide und den Musterbrief lieferten und die fertige Arbeit
dann entgegennahmen. Die kleinen Spitzenherren der Annaberger Gegend
hielten alle Wochen einen Spitzenmarkt ab, die großen sandten ihre Waren auf
alle Messen Deutschlands und halb Europas. Mau fertigte hauptsächlich zwei
Sorten: solche aus leinenem oder baumwollenem Zwirn und solche aus Seide.
Wie heute jedes Spielwarendorf seine Spezialität hat, so legte sich auch beim
Klöppeln jede Gegend auf die Herstellung einer besonderen Sorte: hier fertigte
man weißseidene, dort schwarzseidene, in einer dritten Gegend weiße Zwirn-
spitzen usw. In dieser Weise ging es weit ins 19. Jahrhundert hinein, dann
aber begann ein unaufhaltsamer Rückaana. Die Ursache laa in der Erfindung
von Maschinen, welche erst die gröberen, später auch die feineren Spitzen weit
billiger lieferten, als sie der Spitzenherr herstellen laven tonnte. Der £ohn der