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Die Tundra.
6. Die Tundra.
a) Name, b) Winter-, c) Sommerlandschaft.
a) Das finnische Wort „Tuntur" bedeutet ein waldloses
Gebirge und bezeichnet alle nördlich der Polarzone des Waldes
gelegenen baumlosen Landstriche, in denen der Boden bis zu
großer Tiefe gefroren ist und während des Sommers nur ganz
oberflächlich austaut. — b) Im Winter ist die gefrorene,
schneeverwehte Tundra, die in den skandinavischen Sagas „das
Reich des Schreckens" heißt, eine grenzenlose, blendend weiße
Ebene ohne Baum, ohue Strauch, ohne menschliche Ansiedelung.
Das Eis der Flüsse ist von tiefem Schnee verhüllt, und der
einsame Reisende kreuzt die Fläche in schnellem Schlitten, ohne
311 ahnen, daß tiefe, fischreiche Gewässer unter ihm ruhelos
dahinziehen. Bricht die Nacht herein, so treten bei dem Scheine
des Nordlichts und des Mondes die Pelztiere der transuralischen
Gegenden ihre geheimnisvolle Wanderung in die Tundra an.
In langen, dichten Scharen huschen die Hermeline durch die
nächtliche Stille; Marder, Füchse, Hasen folgen in endloser Zahl.
Das Renntier scharrt das dürftige Moos unter dem Schnee
hervor, nicht selten überfallen von seinem schlimmsten Feinde,
dem gefräßigen Wolfe. Ost braust die „Purga", der grausige
Schneesturm dieser Zone, in furchtbarer Majestät über die
Tundra. Berge lockeren Schnees werden aufgetürmt und wieder
auseinander gejagt und begraben unter ihrem lawinenartigen
Fall den hilflosen Wanderer, das Zelt des wandernden Fischers
und Jägers und die Rindenhütte des scheuen Eingeborenen. —
c) Im kurzen Sommer ist die Tundra nicht wieder zu er-
keimen. Von S. ziehen heran, wie dnnkle Wolken die Sonne
verhüllend, zahllose Scharen von Polarenten, Gänsen und
Schwänen. Zwischen den buntfarbigen Moosweideplätzen der
Renntiere schimmern hier und dort klare Seen und Wasser-
decken. Langsam fließen die menschenverlassenen, fischreichen
Ströme gen N. Renntierherden löschen am Wasser den Durst.
Dürftige Grasflächen mit verkrüppeltem Gesträuch durchsetzen
in schmalen Streifen die trockneren Stellen; Wolken von Mücken
und Bremsen erfüllen die Luft. Die unabsehbare Fläche bedeckt
sich mit buntfarbigen Blüten, Sträuchern, zuweilen auch mit