Full text: Heimatkunde des Fürstentums Schaumburg-Lippe

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Flüchtig begegneten sich die Blicke der beiden Wandrer. Dann aber 
blieben beide erstaunt stehen und sahen einander lange an. Plötzlich 
fielen sie sich in die Arme. Zwei Kameraden hatten nach Jahren 
einander wiedergefunden, die einst in einem abgelegenen Dorfe der 
Hagenower Heide zusammen aufgewachsen waren. Dazu hatten 
beide denselben Beruf erwählt, nämlich das ehrsame Schneider- 
Handwerk. 
Wer die beiden Schneidergesellen so herzlich vereint sah, mußte 
wohl annehmen, daß sie stets gute Freunde gewesen wären. Dem 
war aber nicht so. Hinrich Wnlf nämlich, der andere Geselle, war 
immer ein unverträglicher, leichtfertiger Bursche gewesen, den daheim 
jeder gern gemieden hatte, weil er überall Händel suchte. Kurt 
dagegen hatte jedermann lieb gehabt, da er ein fo stiller und spar- 
samer Meusch war. So mußte es auch heute uoch um beide steheu. 
Elfterer führte nämlich in seinem schlappen Ränzel weiter nichts als 
sein bißchen Handwerkszeug mit sich, letzterer dagegen auch Kleiduugs- 
stücke und — eine beträchtliche Geldsumme. Aber die Freude des 
Wiedersehens seru vou der Heimat hals auch hier, wie so oft, über 
innere Gegensätze schnell hinweg. Beide wechselten noch einige Worte 
mit dem Manne am Tore und schritten dann der Stadt zu. 
Bald saßen sie hinter einem Kruge Bier in fröhlichem Ge- 
plander. Auch der Torschreiber saud sich ein, der gern jede Ge- 
legenheit wahrnahm, wenn er hoffen durfte, frei mitzecheu zu können. 
Schon mahnte Kurt zum Aufbruch. Da brachte der lange Gesell 
das Gespräch ans Arbeit und Verdienst. Er schimpfte auf fein 
Handwerk. Es lohne schlecht, namentlich in dieser Knckuckszeit. 
Er wolle es darum ganz aufgeben. Seine Fahrt ginge an den 
Rhein. Dort habe er einen Bruder. Der führe auf eiuem 
holländischen Frachtschiffe und verdiene Geld über Geld. Uud dann 
drang er in Kurt, er möge sich ihm anschließen. Dem war das 
Bier schon längst zu Kopfe gestiegeil. Endlich willigte er ein. 
Durch kräftigen Handschlag verpflichteten sich beide zu gemeinsamer 
Fahrt. Kurt zahlte die Zeche. Dabei gewahrte der andere des 
Kameraden Reichtum. Ein teuflischer Gedanke stieg plötzlich in 
ihm auf. Jeder griff nach seinem Wanderstabe. So pilgerten sie 
endlich weiter auf der Straße nach Minden zu. 
Die Sonue stand schon hoch am Himmel und sandte ihre 
glühenden Strahlen aus die beiden Wanderer herab. Verwundert
	        
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