96 Sechstes Kapitel.
des Reiches decken zu helfen. Bedenklich blieb dann freilich, daß die Ein-
führnng, ja die Erhöhung der Getreidezölle (1885) ein weiteres Zurück-
gehen der Getreidepreise uicht verhinderte. Sonach mußte man also an-
nehmen, daß die auswärtigen Landwirte so billig zu produzieren im stände
wären, daß ihnen nach Traguug der Transportkosten und der Einfuhr-
zölle doch noch ein hinreichender Gewinn verbliebe, um ihre Produkte billiger
als nnsre deutscheu Landwirte verkaufen zu köuueu. Es ist dies in den großen
Getreideländern, deren Export für uns in Betracht kommt, also in Rußland,
Ungarn, Rumänien, und namentlich auch in Nordamerika und Ostindien, an-
scheinend auch der Fall. Ein ungemein produktiver, geringer Düngung bedürf-
tiger Boden, ein günstigeres Klima, ja anch wohl die bei einer noch ziemlich
anspruchslosen Bevölkerung (wenigstens in Rußland, Ungarn, Rumänien,
Indien) unbedeutenderen Kulturkosten lassen es möglich werden, daß man den
europäischen, also anch den deutschen Markt noch immer mit außerordentlich
billigem Getreide von auswärts übersluteu kann. Hierzu kommt noch ein
andrer Grund, der von einsichtigen Nationalökonomen hervorgehoben worden
ist uud auch in immer weiteren Kreisen gewürdigt zu werdeu scheint, nämlich
die ans der Einführung der Goldwährung in Deutschland eutstaudeue Auders-
stelluug uusres Vaterlaudes gegenüber denjenigen Ländern, in denen ent-
weder die Silberwährung oder eine ausgedehnte Papierwirtschaft herrscht.
§ 7. Die Fischzucht und der Fischereibetrieb.
Fischzucht uud Fischereibetrieb sind verhältnismäßig recht lange in Deutsch-
laud vernachlässigt worden, so daß auch jetzt noch in dieser Beziehung nichts
Bedeutendes erreicht ist und die meisten unsrer Nachbarn uns weit hinter sich
lassen. Ohne an die Zukunft irgendwie zu denken, ohne die allernotwendigste
Schonzeit zu beobachten, war in den Binnengewässern von befugten uud
unbefugten Personen beliebig gefischt worden, uud daher allenthalben ein
immer größerer Mangel an Fischen, besonders an edleren Sorten derselben,
eingetreten. Endlich fing man an, dem Beispiele andrer Nationen, besonders
der Amerikaner, zu folgen, und seit mehreren Jahren entfaltet der „deutsche
Fischereiverein", auch vom Reiche, weungleich nur schwach (1889—90: 40 000
Mark), unterstützt, seine erfolgreiche Thätigkeit.
Von Amerika, wo von Staats wegen sehr große Summen zur Hebung der Fisch-
zucht gewidmet und großartige Einrichtungen getroffen worden sind, werden von
Jahr zu Jatir bedeutendere Mengen befruchteter Eier von Edelfischen, besonders
Salmoniden (Lachsarten), bezogen und in die deutscheu Ströme und Flüsse sowie iu
geeignete Binnenseen verpflanzt. Daneben entwickeln nunmehr zahlreiche Lokal-,
Provinzial- und Landesvereine eine ersprießliche Thätigkeit, welche nach ungefährer
Schätzung gemeinsam etwa ebensoviel befruchtete Eier aller Art aussetzen, wie jener
Haupwereiu. Schon gibt es einige Fischzuchtaustalten im Jnlande, namentlich die
bei Hüningen im Reichslande, und wie erfolgreich diese sämtlichen Bestrebungen sind,
geht aus der Thatsache hervor, daß sich die Fangergebnisse an Edelfischen höchst
erfreulich steigern.
Die künstliche Fischzucht ist zuerst wieder durch einen Deutschen, den Leutnant
Jacobi aus dem Lippeschen, angeregt worden. Infolgedessen entstanden in der That
Fischzuchlanstalten zu Höhnhausen und Hamburg, in Waldeck und im Lippeschen.
Die von der französischen Regierung angelegte Fischzuchtanstalt zu Hüningen erfreut
sich, jetzt auch von der deutschen Regierung kräftig unterstützt, einer großen Blüte.