Die wirtschaftlichen Verhältnisse. 121
Klagen über die englische Konkurrenz fortwährend wuchsen, so wurde 1818 in
Preußen ein neues Zollgesetz erlassen, welches die verschiedenen Landesteile
mit einer einheitlichen Zollgrenze umgab und für die meisten fremden Waren
erhöhte Eingangszölle festsetzte. Die Folgen dieser Maßregel für die Industrie
waren überraschend, denn sofort gewannen alle Gewerbszweige einen groß-
artigen Aufschwung. Daß iu den übrigen deutschen Ländern, welche eines
solchen Zollschutzes entbehrten, die Lage für die Gewerbtreibenden doppelt
ungünstig wurde, war natürlich, denn sie waren nicht nur der englischen Kon-
knrrenz preisgegeben, sondern anch von dem Verkehre mit Preußen abge-
schnitten; besonders litten die Gewerbe in Brannschweig, Hessen, Bayern uud
Württemberg, während Sachsen, wo die Strumpf-, Kattun- und Wollweberei
bereits eine hohe EntWickelung erlangt hatte, verhältnismäßig noch leidlich
wegkam. Die Zwangslage der kleinen deutschen Länder führte zunächst zu
mehreren Zollvereinigungen (seit dem Jahre 1828), ans welchen am 1. Januar
1834 der große deutsche Zollverein entstand, dem bis 1854 alle dent-
schen Staaten außer Österreich, Holsteiu-Laueuburg und Mecklenburg beitraten
und der nun wieder mit auswärtigen Ländern Handelsverträge abschloß.
Von diesem Zeitpunkte datiert eine ganz neue, großartige
Ära, nicht nur für den deutschen Handel, sondern namentlich auch für die
deutschen Gewerbe. Die letzteren sind in einem Vierteljahrhundert zu eiuer so
bedeutenden EntWickelung gelangt, daß Deutschland den großen Industriestaaten
ebenbürtig zur Seite steht. Hatte indessen unser Vaterland in der weiteren
EntWickelung des Zollvereins, namentlich infolge des Handelsvertrags mit
Frankreich (1865), allmählich die Bahnen des Freihandels beschritten, so wirkte
die bald nach dem glorreichen Kriege von 1870/71 nicht nur bei uns, sondern
auch in andern Kulturstaaten eintretende finanzielle Krise auch insofern auf
uufre Wirtschaftspolitik zurück, als die sreihändlerischen Prinzipien wieder ver-
lassen und mit dem Jahre 1879 eine entschiedene Schutzpolitik begonnen wurde.
Letztere geht darauf hinans, nicht nur diejenigen Gewerbszweige, welche unter
der Konkurrenz des Auslandes leiden, einschließlich der Landwirtschaft, imrch
Eingangszölle zn schützen, sondern durch die letztere» auch dem neuen Reiche die
für dessen Erhaltung und Stärkung notwendigen Mittel zu beschaffen. Solche
Maßnahmen sind der schwerleidenden deutschen Industrie iu der That zu gute
gekommen; das Heilmittel, welches, wie gezeigt, schon früher mehrfach geholfen,
bewährt sich auch jetzt aufs ueue. Zwar hat es erst iu letzter Zeit noch des
ernsten Hinweises bedurft, daß die deutsche Industrie vor allem auch die Qua-
lität zu berücksichtigen habe und nicht bloß durch Billigkeit ihrer Erzeugnisse
die fremde Konkurrenz bekämpfen müsse, doch dieser Hinweis hat auch genügt,
um auf die richtige Bahu hinüberzulenken. Sicher ist es das beste Zeichen sür
das siegreiche Vordringen der deutschen Jndustrieerzeuguisse, daß unsre schlimm-
sten europäischen Konkurrenten, Frankreich und namentlich auch England, neuer-
diugs darüber zu klageu beginnen, daß es ihnen schwer werde, auf dem Welt-
markte Deutschland gegenüber in einzelnen Richtungen des Gewerbfleißes
zu bestehen.
Bezeichnend ist unter anderm ein von dem englischen Geschäftsträger zu Dresden
in seinem Berichte an das Auswärtige Amt über die Folgen der deutschen Zolltarif-
reform von 1879 gefälltes Urteil. Es wird nachgewiesen, daß in der Zeit von