Der Mönch von Weißenburg. 175
„Heliand", des sächsischen Bauern, in welcher Christus als der hehre, wal-
tende König und weise Volksfürst, seine Jünger als die getreuen Dienst-
mannen und die heiligen Stätten als Burgen der Heimat erscheinen! —
Dennoch darf uns dieser Vergleich nicht verleiten, von dem Werke des
Weißenburger Mönchs, welches er (868) dem ersten deutschen Könige,
Ludwig dem Deutschen, widmete, gering zu deukeu. Sein hohes Verdienst
beruht eben darin, daß es das älteste Zeuguiß der deutschen Muttersprache
des Elsaß, daß es aus Liebe zur deutschen Sprache, zum deutschen Wesen
entstanden ist, und daß es uns die Grundregeln der deutscheu Verskunst
erkennen läßt. Aber noch mehr! Es klingt aus jeuer nuu mehr deuu
tausend Jahre alten Dichtung hier und da ein inniger-und herzlicher Ton
deutscheu Gemüthes zu uns herüber, der heute uoch in der Tiefe der deutschen
Herzen wiederklingt. Wie könnten Mutterliebe und Mutterglück in der
deutschen Dichtung schöner gefeiert werden als in den Worten, mit welchen
der Dichter des „Krist" die inbrünstige Liebe der „Himmelskönigin" zum
Jesuskinde preist:
„£) Seligkeit der Mutterbrust,
Die Christus selber hat geküßt;
O Seligkeit der Mutter auch,
Die ihn bedeckt, mit ihm gekos't!
O selig, die ihn hat geherzt.
Die ihn gesetzt auf ihren Schoß,
Die ihn in Schlummer hat gewiegt.
Die neben sich ihn hat gelegt;
Ja selig, die gekleidet ihn,
Die mit den Windeln ihn umwand,
Und die auf einem Lager schläft
Mit einem solchen thenern Kind!
Ja selig die, die ihn umhüllt,
Wenn ihm der Frost zu schaden sucht,
Die mit den Händen und dem Arm
Umschlinget seinen thenern LeibI"
Schon um solcher Worte willen möchten wir dem deutschen Lands-
mann, der dort im Kloster Weißenburg mehr als tausend Jahre vor uns
gelebt und gestrebt, ein dankbares Andenken bewahren. Ehre dem ersten
treuen Pfleger deutscher Sprache und deutschen Sinnes im Elsaß! —
Mriftn Gottfried von Strasburg. Es war eine herrliche, hochherzige Zeit,
als die Rnhmesthaten der mächtigen Hohenstaufenkaiser die Welt erfüllten,
als Könige und Fürsten, Ritter und fahrendes Volk, von einer großen
Idee fortgerissen, das Kreuz auf ihre Schultern hefteten und nach dem
Morgenlande zogen, um die heiligen Stätten den Händen der Ungläubigen
zu entreißen; als die Sagen der Vorzeit im Volksmunde lebten und in Burgen
und Städten, von Rittern und fahrenden Sängern die Lieder ertönten zum
Preise des Heldenthums uud der Frauenminne. Auch an diesem reich-
bewegten Leben nahm das Elsaß hervorragenden Antheil; nannten sich doch
die Hohenstanfischen Kaiser zugleich Herzöge des Elsaß, und wurde doch