Full text: Bilder aus den neuen Reichslanden und aus dem südwestlichen Deutschland (Bd. 3)

Die Arbeiterstadt in Mülhausen. 359 
schon einzelne Fabrikanten.in ihren Gebäuden Privatwasch- und Badean¬ 
stalten für ihre Arbeiter angelegt; hier wird für die Haushaltungen der 
Arbeiter derselbe Vortheil für den billigsten Preis (das Bad 12 Pfennige) 
geboten. Die Benutzung der Waschanstalt mit ihren Vorräthen an warmem 
Wasser, ihrer Wriugmaschiue und ihrem Trockenboden ist bei der Billigkeit 
des Preises (4 Pfennige für die beiden ersten Stunden, eben so viel für jede 
folgende) auch der ärmsten Haushaltung zugänglich gemacht, in denen Rein- 
lichkeit und damit Wohlfahrt auf das Beste befördert werden. Preise werden 
überdies alljährlich vergeben für diejenigen Haushaltungen, die sich besonders 
durch Reinlichkeit uud Ordnung Hervorthun. Dem Badehaus im Aeußern 
etwa entsprechend, befindet sich auf der andern Seite die Bäckerei nnd die 
Restauration der Arbeiterstadt, auch diese von der Gesellschaft errichtet. An 
Jedermann verkauft sie das Brot zu billigeren Preisen, als das in den 
Bäckereien der Stadt möglich wäre; aber sie verkauft nur gegen baares Geld, 
so daß das Schuldenmachen unmöglich gemacht ist. Gerade darum aber 
wird die Anstalt, welche der Uneigennützigkeit des Herrn Johann Dollfns 
ihren Ursprung verdankt, noch nicht in dem Maße benutzt, welches man 
ihr wünschen möchte, und ebenso geht es der Restauration, welche etwa in 
einer altdeutschen Stadt den Namen Volksküche tragen würde. Für 32—40 
Pfennige wird in derselben Frühstück und Mittagbrot geliefert, nach der 
Tageskarte, die an großem schwarzen Brete ansgehängt ist, und der zufolge 
Rindfleisch für 12, Rinderbraten für 20, Kalbsbraten für 24 Pfennige ge- 
liefert wird. Sollte das noch zu theuer sein? Die geringe Benutzung läßt 
fast darauf schließen, wenn man nicht annimmt, daß die meisten in der 
Nähe wohnenden Arbeiter verheirathete Leute siud, die im eigenen Hanse 
Verköstigung finden. Der wahre Grund aber ist doch wol der, daß gerade 
in seinen materiellen Bedürfnissen der Arbeiter am wenigsten irgend etwas 
dulden mag, was wie eine Bevormundung oder wie eine Beaufsichtigung 
aussieht. Das ist auch der Eindruck, den wir erhalten, wenn wir in dem 
Bureau der Gesellschaft die mit großer Zuvorkommenheit gegebene Statistik 
der Arbeiterstadt ansehen. Unter den ca. 6500 Einwohnern der Arbeiter- 
stadt befinden sich die eigentlichen Fabrikarbeiter in der Minderzahl. Es 
ist entweder die Aristokratie unter den Arbeitern, d. h. die Werkmeister, 
oder es sind Angestellte in unteren Posten, oder endlich Vertreter des Klein- 
gewerbes, die sich dorthin gezogen haben. Wollte man daher die menschen- 
freundliche Schöpfung der Mülhäuser Fabrikherren als eine Lösung der so 
unendlich schwierigen Arbeiterfrage betrachten, so würde das doch ein Irr- 
thnm sein. Die eigentliche flnktnirende Arbeiterbevölkerung entzieht sich dem 
wohlmeinenden Versuche, sie seßhaft und damit zu Bürgern zu machen, und 
nach wie vor hat sie die Ungebuudeuheit des Geuusses lieber als jede, selbst 
die freundlichste Ueberwachung und Anleitung. Aber immerhin ist nnend- 
lich viel Segen durch die Humanität der Mülhäuser Geldaristokratie ge- 
schaffen worden. Wer blos die Zahlen reden hören will, dem sagen wir, 
daß im Jahre 1875 von 892 Häusern 886 bereits verkauft waren,- und 
daß darauf 2,920,000 Frcs. bereits abbezahlt wareu, während 854,000 noch
	        
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