406 Wanderung in den thüringischen Vorbergen,
Venus geworden waren. Und als nun das deutsche Kaisertum von der römischen
Kirche zersetzt und untergraben, als das Hochgefühl des deutschen Volkes herab-
gedrückt war, als seine Hoffnung auf Befreiung des Heiligen Landes — denn
darauf war damals der Gedanke der Welterlösung gerichtet — von der Er¬
kenntnis geknickt war, daß das Papsttum auch damit nur Weltherrschaft erstrebe:
da senkte sich der nunmehr gesicherte christliche Gemütsinhalt des Volkes wieder in
die alte heidnische Form der Entrückung hinein. Die Helden, die für des Reiches
Größe und für des Heiligen Landes Erlösung gestritten hatten, Friedrich I. und
Friedrich II., wurden ihm zu dem einen Kaiser Friedrich, der im Kyffhäufer harrt,
bis feine Zeit gekommen ist. Waren fie doch beide in der Ferne gestorben, und so
lebten sie dem Volke noch; denn das, wofür sie gelebt, kounte ja nicht untergehen.
Wie nachhaltig unsre Sage auf das Volksgemüt gewirkt hat, beweist die
Thatsache, daß noch in Luthers Todesjahre ein Mann von sich reden machte,
der in Busch und Getrümmer des Kyffhäusers feinen Sitz aufgeschlagen hatte
und auf Befragen vor den Leuten, die herbeigeströmt waren, erklärte, er sei der
Kaiser Friedrich und werde die ersehnte bessere Zeit bringen. Und er hielt sich
wirklich für den Kaiser, ob er gleich in verwilderter Dürftigkeit dasaß; ja er
sand auch fo viel Glauben, daß man es für geraten hielt, ihn einzusperren.
Die Nachforschungen ergaben bald, daß er ein Schneider aus Langensalza war.
Danach konnte man ihm die Freiheit wiedergeben, von der er hinfort einen
durchaus harmlosen Gebrauch machte. Wie man hat fagen können, aus diesem
Vorgange erst sei die Sage vom Kaiser Friedrich entstanden, ist unbegreiflich. Die
Sage mußte erst da, mußte lebendig und wirksam sein, um dem armen Schneider
zu Kopfe steigen zu können. Übrigens ist die Sage auch viel früher nachweisbar.
Die Kaiserpfalz in Tilleda, die von Friedrich I. erbaute Burg auf der
Höhe des Berges und die Wallfahrtskirche mit ihrer Priesterschaft scheinen mir an
Ort und Stelle die historischen Momente zu sein, welche die Sage veranlaßt haben.
Kehren wir nun zur Gegenwart und Wirklichkeit zurück, um uns, ehe wir
den Berg verlassen, an der Aussicht zu erfreuen. Es ist die Aussicht in die Goldene
Aue und über dieselbe hinaus. Die Goldene Aue ist das Thal der Helme,
die im großen Bogen um die Nord- uud Ostseite des Kyffhäusergebirges herum-
fließt, bis sie eine Stunde unterhalb Arterns bei Kalbsrieth sich in die Unstrut
ergießt. Da liegen denn im grünen Fruchtgefilde die Dörfer zahlreich verstreut;
im Norden bildet der Harz den Hintergrund, und vom Osten her schauen Sanger-
hausen, Allstädt, Artern über die Aue herüber. Allstädt, das einst auch eine
Pfalz hatte wie Tilleda, winkt besonders lockend mit seinem hochgelegenen Schlosse,
das dem Großherzog von Weimar gehört und auch jährlich zur Jagdzeit von
ihm besucht wird. Nach Westen, also nach Nordhausen und Gondershausen,
ist der Blick durch das Gebirge verstellt; man mag ihn aber von der Roten-
bürg zu gewinnen suchen, der Schwesterburg des Kyffhäusers, die aus einem
nördlichen Vorsprunge des Gebirges liegt. Auch sie ist Ruine, aber eine viel
besuchte, heiter belebte. In und an den Trümmern hatte seit dem Jahre 1839
ein Mann sich eine Sommerheimat, den Besuchern einen Rastort geschaffen, von
dem aus sie mit vollem Behagen sowohl die Aussicht auf Harz und Aue, als
auch die näher liegende auf den wunderschönen Waldabhang, welcher der Burg
westlich gegenüberliegt, genießen können. Beyer hieß dieser Schöpfer des Ver-
gnügungsortes, man nannte ihn aber den „Einsiedler auf der Rotenburg"; und