Full text: Lesebuch für landwirtschaftliche Winterschulen und ländliche Fortbildungsschulen

270 — 
162. Der erste Anblick des Sternenhimmels. 
In der ganzen Natur gibt es keinen Gegenstand, der das Gemüt 
des Menschen mehr zur Bewunderung hinreißt, als der Sternenhimmel. 
Wenn der letzte Strahl der untergehenden Sonne von den Gipfeln unserer 
Berge weicht, und die Täler der Erde mit ihrer farbenreichen Blüten- und 
Blumenwelt sich in dunkle Schatten hüllen, dann senden aus den blauen 
Tiefen der Himmelsräume zahllose Weltkörper ihre Strahlen hernieder und 
leuchten in einem Glanze und in einer Pracht, für welche die Sprache 
keinen Ausdruck findet. Es ist, wie wenn die Herrlichkeit des Unsichtbaren, 
den alle Zungen bekennen am himmlischen Tage, sich noch prachtvoller 
und erhabener im hehren Dunkel der schweigenden Nacht enthüllen und 
sichtbar, wie sie dem Auge des Sterblichen sein kann, mit einer endlos 
funkelnden Strahlenkrone aus ihrer Verborgenheit hervortreten wollte. 
Unwillkürlich wird in solchen Augenblicken der geistdurchstrahlte Blick des 
Menschen zu jenen himmlischen Heerscharen emporgezogen, welche, hoch 
erhaben und nie erreicht vom Gewirre der Erde, in ewigem Jugendglanze 
und stiller, feierlicher Ruhe über seinem Haupte hinziehen. Er ahnet in 
der Tiefe seiner Brust, daß ihn ein geheimnisvolles Band an diese leuch— 
tenden Welten knüpft, Vorgefühle seiner höheren Bestimmung durchbeben 
sein Innerstes, und sein Geist verliert sich, überwältigt von Staunen und 
Entzücken, in den Wundern der Unendlichkeit. 
Bei diesen Gefühlen der Bewunderung bleibt indessen der Geist des 
denkenden Menschen nicht stehen. Angespornt von dem ihm eingepflanzten 
Triebe nach Erkenntnis, verlangt er mehr. Er will Ausschlüsse über die 
Flammenschrift des Himmels; er will eindringen in die Tiefen der Schöpfung 
und sich die Beschaffenheit und den Zusammenhang des Ganzen erklären. 
Kaum ist er daher aus dem seligen Traume, in den ihn der Anblick des 
Sternenhimmels versenkt hatte, zum klaren Bewußtsein seiner selbst zurück— 
gekehrt, so beginnt er zu beobachten, zu vergleichen, zu forschen. In diesem 
Augenblicke beginnt in ihm die Wissenschaft der Sternkunde. 
Stellen wir uns nun auf den Standpunkt der Beobachtung, so stellt sich 
uns der Himmel als ein großes blaues Gewölbe dar, das auf den äußersten 
Rändern unseres Gesichtskreises aufliegt, und an dessen innerer Wölbung 
die Sterne gleich goldenen Nägeln befestigt sind. Einige dieser Himmels— 
lichter funkeln in einem Glanze, der alles übertrifft, was wir auf Erden 
kennen; andere leuchten in einem milderen, sanfteren Lichte, ohne Strahlen— 
blitze; wieder andere, und zwar eine beträchtlich größere Anzahl, glänzen 
in einem stufenweise immer geringeren Grade, jedoch immer noch dem Auge 
unterscheidbar. Bei weitem die meisten aber senden aus den unabsehbaren 
Fernen des Weltenraumes nur einen blassen Schimmer, der in uns die 
Ahnung erweckt, als ob sie an diesen Stellen des Himmels schichtenweise 
hinter einander ständen. Auch die Farbe der Sterne erscheint einem 
scharfen Auge verschieden. Zwar leuchtet der größte Teil derselben in 
einem weißlichen oder gelben Lichte; aber unverkennbar ist bei vielen auch 
ein rötlicher, bläulicher, goldfarbener oder grünlicher Schimmer. Alle scheinen 
in größter Unregelmäßigkeit am Firmamente verteilt zu sein; denn während 
sie an einigen Stellen vereinzelt stehen, bilden sie an anderen größere oder
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.