Full text: Bilder aus dem sächsischen Berglande, der Oberlausitz und den Ebenen an der Elbe, Elster und Saale (Bd. 7)

56 Der Kamm des Gebirges und das Hügelland der Elster und Mulde. 
und über die Dächer hinheulen, daß dem abgehärtetsten Gebirgler im Herzen 
bange wird. Nach einer solchen richtigen Schneesturmnacht gewährt die Stadt 
zuweilen einen ganz seltsamen Anblick. Die Häuser tragen buchstäblich Schnee- 
mäntel. Wo nur der geringste Vorsprung Anhalt gab, bildeten sich, durch den 
Druck des Sturmes verdichtet, weiße, frostige Hüllen an den Wänden: die nicht 
verschütteten Fenster haben sich ganz hinter kristallenen Jalousien verhüllt, und 
selbst die Geschäftsfirmen an den Häusern zeigen sich weiß verhängt. Freilich 
dauert die Herrlichkeit dieser Hermelindraperien nicht lange; sobald der Druck 
nachläßt, blättern die Hüllen an den Wänden herab, wie die Späne auf den 
Zimmerplätzen. Ein ganz unbeschreiblich schönes, seltsames Bild gewährt es 
aber, wenn in der Nacht der Sturm plötzlich schweigt, der Nachthimmel sich 
aufheitert, das Mondlicht über die erstarrten, fremdartigen Gebilde seine magischen 
Schatten hinwirft und die flimmernden Gestirne sich in den Myriaden von Eis- 
kristallen widerspiegeln, so daß die Schneeflächen aufleuchten, als hätte man 
Millionen von Diamanten über sie ausgesäet. 
„Oft aber geschieht es auch, daß durch eiueu Schneesturm in wenig Stunden 
die Straßen der Stadt halb verschüttet und unpassierbar gemacht werden; die 
Insassen ganzer Häuserreihen sind eingekerkert, die Zimmer in den Erdgeschossen 
finster wie Kellerräume. Man gräbt sich heraus oder benutzt wohl gar Fenster 
in den oberen Stockwerken als Hansthüren. Die alten Bestände der benach- 
barten Forste geben dann das seltsame Bild eines Waldes von riesengroßen 
Korallen, und die jüngeren, die zumeist ganz verschüttet sind, erscheinen wie ein 
im Sturm erstarrtes Meer; jedes Bäumchen stellt den unsichtbaren Träger einer 
Woge dar. Dabei zeigt sich der Schnee von einer Weiße, wie sie der Städter 
im Tieflande nie, der Dörfler aber nur bei frischem Schneefall und strenger Kälte 
zu schauen bekommt; die leiseste Wirkung der Sonne nimmt ihm ja den Schmelz. 
„Die nunmehrigen Verkehrsbahnen außerhalb der Stadt haben mit den 
Richtungen der alten Straßen, soweit diese nicht ausgeschaufelt werden können, 
gar nichts zu thun, und häufig geschieht es auch, daß ein Schlittenganl über die 
Wipfelzweige einer Eberesche strauchelt, auf welcher vor Wochen noch der Star 
sein Lied gepfiffen. Für den Stadtverkehr haben die starken Schneefälle die 
Schöpfung einer ganz eigenartigen Wintergarnison, der sogenannten Trampel- 
garde, zur Folge gehabt. Sie besteht meist aus Arbeitern, die ihrer gewohnten 
Beschäftigung des Schnees wegen nicht nachgehen können. Nach mäßigerem 
Schneewetter lassen sie ihre Waffe, die Schippe (Schaufel), ruhen, formieren sich 
zu eng geschlossenen Kolonnen und „trampeln" Bahn durch die frisch gefallene 
Schneedecke. Rührend ist es anzusehen, wenn sie vor einzelne Häuser ziehen, 
in denen sie Schulkinder wissen; sie nehmen dann die kleinsten davon anf den 
Arm und tragen sie, unbeschadet des Trampeldienstes, nach dem Schulhause. 
Bei großen Schneefällen müssen die Gassen ausgeschaufelt werden, und nach 
schweren Stürmen wird der Trampelgardist nicht selten zum Bergmann; sobald 
der Tagebau unmöglich geworden, legt er Schneezechen an." 
Aus dem sächsischen Sibirien stammt der berühmte Kanzelredner und 
Liederdichter Johann Andreas Kramer. Er wurde am 29. Januar 1723 
in Iöhstadt geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, denn sein 
Vater, der Prediger daselbst war, hatte bei geringem Einkommen eine starke 
Familie zu ernähren. Aber gerade aus solchen Familien sind auch im Erzgebirge
	        
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