Das Graswangthal und Linderhof. 267
bietet die umgebende einfache und friedlich stille Natur: hier die mächtige alte
Linde, die iu deutschen Ganen ihres Gleichen sucht, dort die thaufrische Wiese
uud darüber am Bergeshange aufsteigend der breitkronige Buchenwald.
Im Thale der Graswang fortschreitend, erreichen wir den gleichnamigen
Hauptort des Thales, einen einsamen Weiler. Neben dem Pfade fließt die
junge Ammer; hier erst gelingt es ihr, sich aus dem mächtigen Kiesbett — hier
„Gries" genannt — zu befreien, das sie von der Quelle an beengte und ihre
Lebenskraft hemmte. Durch das mit grüueu Wiesen bekleidete, nicht großartige,
aber freundliche Thal, das duftige Fichtenwälder umsäumen, streckt sich das
Gries breit hin. Der lange Steg, der über das trockene Gerölle führt, fagt
uns, daß es auch weniger friedliche Tage hier giebt, solche, an denen die von
den Hängen herabstürzenden Wildbäche das Gries überfluten, die mächtigsten
Stämme wie Strohhalme knicken und mit sich fortreißen. Dort liegt eine solche
Baumleiche mitten im Kies; schon ist ein Theil derselben in Moder gesunken
uud frische Blumen fprießen lustig daraus empor. Der Anblick bereitet uns
auf deu Eindruck jener alten Klostergebäude vor, deren mächtige Kuppel in
dieser Gebirgseinsamkeit vor uns aussteigt.
Kloster Ettal; ein geistlicher Ritterorden in Oberbayern. Die älteste
Geschichte des Klosters Ettal löst sich in Sagen auf. Der Name deutet auf den
Welfen Ethico hin, dessen Schwester, die schöne Jutta oder Judith, die Ge-
mahlin Kaiser Ludwig's des Frommen war. Der stolze Ethico wollte nicht eines
Karolingers Lehnsträger sein und zog sich in das öde Thal am Ursprung der
Ammer zurück, wo er sich in tiesster Wildniß eine Zelle baute uud die enge
Mündung des Thales am schroffen Kessel durch einen Verhau abschloß. Eiu
halbes Jahrtausend später kehrte Ludwig der Bayer, nachdem er sich in
Pavia die eiserne Krone der Lombarden und in Rom die Kaiserkrone auf das
Haupt gesetzt (1314), über die Alpen in seine Heimat zurück. Er führte ein
liebliches Marienbild aus milchfarbigem Stein bei sich, das ihm nach der
Legende ein Engel im Gewände der Benediktiner-Ordensbrüder übergeben, und
dem er ein Kirchlein und ein Kloster zu bauen gelobt hatte. Als er den Ettaler
Berg hinanritt, ward das Bild in seinem Arme so schwer, daß er es nicht weiter
zu tragen vermochte. Er sah dies als einen Wink des Himmels an, daß er hier
sein Gelübde lösen solle, ließ die Wildniß der Ampferang, in der einst der
stolze Welse als Klausner gelebt hatte, ausreuten und legte — nach der Kloster¬
chronik am 18. April 1330 — den Grundstein zum Bau. Obgleich der päpst-
liche Bann.ans dem Haupte des Kaisers lastete, führte er doch das Werk zu
Ende, und binnen zwei Jahren war der Bau vollendet. Freilich blieb die Kirche
vor der Hand noch nnansgeweiht, aber zwanzig Mönche lasen trotzdem täglich
die Messe darin. Ludwig beschenkte das neue Kloster reichlich; neben großen
Gütern und stattlichen Burgen verlieh er ihm auch sein vormaliges Wohnhans
an der Ecke der Kaufinger und Fürstenfelder Gaffe in München, das nunmehr
sogenannte „Ettaler Haus".
Ettal erhielt zugleich die Bestimmung, der Sitz eines neuen Ordens zu
werden. Der Kaiser hatte Wolfram von Efchenbach's große Dichtungen ,,Par-
zivat" und „Titnrel" gelesen und war von den mystischen Aufgaben der Ritter