266. Die Völkerstämme in Sibirien.
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und dann geht mit dem ersten Schnee ihre Roth an, so daß man sie Tag
und Nacht durch ein gräßliches Geheul ihr Elend beklageil hört. Es ist
dieses die Straßenmusik Petropawlowsk's. Ihre Winterkost besteht aus stin-
kenden oder verschimmelten, an der Lust getrockneten Fischen. Man kann sich
nicht genug über ihre Stärke verwundern. Gewöhnlich spannt man nur
fünf Hunde an einen Schlitten; diese ziehen drei erwachsene Menschen mit
60 Pfd. Gepäck behende fort. Das Pferd wird niemals den Hund als Zug-
thier verdrängen können, wegen des allzutiefen Schnees, über welchen die
Hunde hinlaufen, während ein Pferd bis an den Leib einfällt, so wie auch we-
gen der vielen steilen Gebirge und der zahlreichen Flüsse und Quellen, die
entweder gar nicht zufrieren oder doch wenigstens nicht so hart, daß sie ein
Pferd tragen könnten. Wegen der schrecklichen und öfteren Sturmwinde hat
man auch niemals oder selten einen gebahnten Weg zu hoffen.
Die Schlittenhunde werden sehr frühzeitig zu ihrem fünftigen Dienste
abgerichtet. Sobald sie sehen, werden sie sammt der Mutter in eine tiefe
Grube gelegt, so daß sie weder Menschen noch Thiere zu sehen bekommen.
Nach einem halben Jahre spannt man sie mit andern gelernten Hunden an
den Schlitten und fährt nüt ihnen einen kurzen Weg: weil sie nun Hunde-
und menschenscheu sind, so laufen sie aus allen Kräften. Sobald sie wieder
nach Haufe kommen, müssen sie wieder in die Grube, so lange und so viel,
bis sie des Ziehens gewohnt worden und eine weite Reise verrichtet haben.
Erst nachdem sie vollständig ausstudirt, genießen sie ihre hündische Som-
merfreiheit.
Was die geistige und sittliche Beschaffenheit der Kamtfchadalen betrifft,
so rühmen Reisende ihre Gutmüthigkeit, ihre Gastfreiheit, ihren natürlichen
Witz, ihren Frohsinn. Sanguinischen Temperaments, besteht ihre Lebens-
Philosophie darin, muuter und vergnügt in der Dürftigkeit zu leben und sich
keine Sorgen um den folgenden Tag zu machen. Sie zeichnen sich vor ihren
Nachbarn durch eine besondere Unreinlichkeit aus. Sie waschen sich weder
Gesicht und Hände, noch kämmen sie sich die Haare. Sie essen mit ihren
Hunden aus demselben Geschirre, welches nie ausgewaschen wird. Ihre
Frauen behandeln sie mit Güte, und während bei den andern wilden oder
halbwilden nordischen Völkern das Weib die Sclavin des Mannes ist, ge-
bietet sie im kamtschadalischen Ostrog. Angethanes Unrecht vergessen sie sehr
bald, dagegen mangelt ihnen die Dankbarkeit. Der Faulheit sind sie von
ganzem Herzen zugethan, nur die Roth zwingt sie zum Arbeiten, sie haben
keinen Begriff von Schande, sind widerspenstig und frech, wenn man sie mit
Güte behandelt, unterthänig und ergeben, wenn man sie gebieterisch anredet
und den Stock dabei schwingt. Sie sind sehr begierig, fremde Sitten anzu-
nehmen, und durch gute Lehren ließe sich viel aus einem so biegsamen, auf-
geweckten, phantasiereichen Volke machen. Die Kamtschadalen sind längst
zum griechischen Christenthum bekehrt, und doch soll auch hier die Taufe den