415. Die Republik Chile.
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Mensch auch für härtere Arbeit keiner importirten Sclavenbevölkerung bedurfte.
Die plastische Mannichfaltigkeit der Oberfläche und die dadurch bedingte Ver-
schiedenartigkeit des Klimas erzeugen im Innern und im Süden des Landes
einen außerordentlichen Pflanzenreichthum; alle europäischen Getreide-, Ge-
müse- und Obstsorten gedeihen vortrefflich neben einer großen Anzahl von
Rohr- und Flachsarten. Die Cultur des Weizens legte namentlich den
Grund zum Wohlstande des Landes, welches eine Kornkammer für das schnell
bevölkerte Goldland Kalifornien wurde, und gab zugleich die Mittel an die
Hand, um den Mineralreichthum der nördlicheren Provinzen in großartigerer
Weise auszubeuten. Und als einige Jahre später das Goldsieber in Cali-
fornien nachgelassen hatte, auch die dortigen Ansiedler selbst ansingen, Ge-
treide zu bauen, da eröffnete sich dem Getreidehandel Chile's ein neues,
wenngleich entfernteres Gebiet. Die Entdeckung von Goldfeldern in Austra-
lien (1851) und das dadurch veranlaßte massenhafte Zuströmen von Einwan-
derern ließen die Zufuhren von Getreide dahin, trotz der großen Entfernung,
noch glänzendere Resultate erzielen, als wenige Jahre früher in Californien.
Gegenwärtig versieht Chile nicht bloß alle Häfen der Westküste von Süd-
amerika, sondern auch die Colonieen von Neu-Südwales und Victoria so
wie die meisten Inseln der Südsee, wo bereits europäische Niederlassungen
bestehen, mit Weizen, Gerste und andern, dem nördlichen Einwanderer fast
unentbehrlichen Getreide-Arten der gemäßigten Zone. Dieser landwirthschast-
lichen Thätigkeit der südlichen Provinzen steht in den nördlichen Provinzen
die freilich noch wenig systematische Ausbeutung der Metallschätze gegenüber.
Die Kupferproduction Chile's liefert 30 Procent vom Totalerträgniß der ganzen
Erde. Die Silberminen von Copiapo und Coquimbo sind für den Handel
bedeutend; die Steinkohlenlager (mehr im Süden) sind über das ganze
Gebiet von der Bai von Concepcion bis gegen die Magelhaensstraße aus¬
gebreitet und liefern den Bedarf für die ganze pazifische Küste. Unter den
kühnen Eisenbahnbauten über Bergschlünde und reißende Flüsse ragt der
jüngste hervor, die transandinische Bahn, von Valparaiso nach Buenos-Ayres,
welche die Andes übersteigen, die Pampas durchschneiden, die West- und
Ostküste des südamerikanischen Continents und somit auch den südatlantischen
Ocean mit dem Großen Ocean verbinden soll. In der Folge wird also jeder
der drei Haupttheile Amerika's eine interoceanische Bahn aufzuweisen
haben. Dazu kommen die trefflichen Anstalten und Maßregeln (wie Ver-
träge) zur Förderung von Handel und Gewerbe, so wie zur Verbreitung der
Bildung unter allen Ständen, wofür der Staat ganz außerordentliche Opfer
bringt; Volksschulen, Ackerbauschulen und Gewerbeschulen erfreuen sich der
umfassendsten Fürsorge der Regierung; das Institute nazional vertritt die
Stelle einer Universität und einer polytechnischen Schule zugleich. Deutschen
Reisenden gewährt es eine besondere Befriedigung, zu sehen, wie hier ihre
Landsleute als Großhändler, Ingenieure, Architekten, Aerzte, Pharmaceuten,