Full text: Deutsches Lesebuch für die Obersekunda der höheren Lehranstalten

7. Schnee und Gletscher. 
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plötzlicher, zerstörender Heftigkeit durch die Schluchten der Gebirge herunter¬ 
brausen, während sanfte gekühlte Luftströme von den mit Gletschern gekrönten 
Höhen herabstreichen. Außerdem giebt es Landwinde und Seewinde, die von 
der wechselnden Tages- und Nachtteniperatur des Erdbodens an der Küste 
herrühren. Die Morgensonne erwärmt bett Strand, bringt eine senkrecht 
aufsteigende Luftströmung hervor, und bie Lust des Meeres strömt land¬ 
einwärts. Am Abend wird die Erdoberfläche vermöge ihrer Ausstrahlung 
mehr abgekühlt als die See, die Bedingungen sind umgekehrt und die schwere 
Luft der Küste fließt nun seewärts. 
7. Scfynee urtò Gletscher. 
von John Tyndall: Die Wärme. S. 261. 
Vollkommen ausgebildeter Schnee besteht nicht aus einer unregelmäßigen 
Anhäufung von Eisteilchen, sondern es ordnen sich bei ruhiger Atmosphäre 
die Wasseratome zu den auserlesensten Figuren. Die Atome stellen sich zu 
sechseckigen Sternen zusammen. Aus einem Centralkerne schießen sechs Spitzen 
hervor, die unter sich wieder durch einen Winkel von 60 Grad getrennt sind. 
Nach rechts und links treiben aus diesen Hauptrippen feinere Spitzen heraus; 
auch diese halten mit unfehlbarer Genauigkeit den Winkel von 60 Grad 
zwischen sich ein; aus diesen wiederum laufen noch feinere Strahlen in gleichem 
Winkel aus. 
Die Gipfel der Alpen sind mit diesen gefrorenen, auf einander gehäuften 
Blumen bedeckt, deren zarte Architektur jedoch hier bald durch die Einwirkung 
des Wetters zerstört wird. Jeden Winter fallen sie von neuem und jeden 
Sommer verschwinden sie wieder; aber diese periodisch wechselnden Vorgänge 
heben sich gegenseitig nicht vollständig auf. Unterhalb einer gewissen Linie 
herrscht die Wärme vor, und die Menge von Schnee, die hier während des 
Winters fällt, wird völlig weggeschmolzen. Oberhalb dieser Linie herrscht 
die Kälte vor; die Menge von Schnee, welche hier fällt, übersteigt die Menge, 
welche wegschmilzt, und so bleibt ein jährlicher Überschuß liegen. Im Winter 
reicht der Schnee bis in die Ebenen herab; im Sommer zieht er sich bis zur 
Schneelinie zurück, d. h. bis zu der besonderen Linie, auf welcher der 
Schneesall des Jahres genau ausgeglichen wird durch die Schneeschmelzung; 
oberhalb dieser Linie fängt die Region des ewigen Schnees an. Wenn jedoch 
oberhalb der Schneelinie jährlich ein Überschuß liegen bleibt, so müssen die 
Gebirge mit einer jedes Jahr zunehmenden Schneelast beladen werden. An¬ 
genommen, an einer gewissen Stelle oberhalb der genannten Linie werde der 
Schneemasse jährlich eine drei Fuß dicke neue Schneeschicht zugefügt. Diese
	        
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