322 
35. Der Pik von Ceneriffci.* 
Unter den kanarischen Inseln ist Teneriffa die größte und wichtigste. 
Ihre größte Merkwürdigkeit ist der hohe Pik, der sich bis über die 
Wolken erhebt, zwischen 3450—3760 Meter Höhe hat, eine Höhe, die 
hier um so ungeheurer erscheint, da er wie unmittelbar aus dem See 
emporsteigt. Der Anblick dieses Bergriesen interessiert nicht bloß durch 
seine Höhe; er beschäftigt die Seele lebhast, indem er sie an die ge- 
heimnisvolle Quelle des vulkanischen Feuers erinnert. Seit Tausenden 
von Jahren ist keine Flamme, keine Erhellung auf dem Gipsel des 
Kegels wahrgenommen worden, und doch beweisen ungeheuere Seiten- 
ansbrüche neuerer Zeit, daß das innere Feuer noch lange nicht verloschen 
sei. Im Jahre 1799 hat ihn der berühmte Reisende 21 v. Humboldt 
erstiegen und teilt uns folgendes über den Pik mit: 
„Ein schmaler und steiniger Weg führte uns durch einen schönen 
Kastanienwald in eine Gegend, die mit Lorbeer und baumartigen 
Heidekräutern bedeckt war. Schon hier genossen wir eines prächtigen 
Anblicks des Meeres und des ganzen nördlichen Teils der Insel. 
Von nun steigen wir immer bergan, ohne ein einziges Tal zu durch- 
schneiden. Auf die Gegend der baumartigen Heiden folgte die der 
Farnkräuter; daun die Ebene der Pfriemenkräuter, die dem Auge nichts 
als ein ungeheures Sandmeer darbot. Wir litten viel von dem er- 
istckenden Staube des Bimssteins, in den wir beständig eingehüllt 
waren. Diese öde Gegend war nur durch einzelne braune Ziegenherden 
belebt, die hier weideten. Bis an diese Ebene ist der Pik mit einer 
schönen Pflanzendecke bedeckt, an der man nirgends eine Spur von 
einer Zerstörung wahrnimmt, so daß man versucht ist, zu glauben, 
das Feuer des Berges sei längst erloschen. Aber kaum kommt man 
aus der mit Bimsstein bedeckten Ebene an, so verändert die Landschaft 
ihr Ansehen. Mit jedem Schritte begegnet man ungeheuren Blöcken 
mit Obsidian (ein ganz schwarzer Stein, wie Glas), welche durch den 
Vulkan ausgeworfen wurden. Alles verkündigt daselbst eine tiefe Ein- 
fantfeit; einige Ziegen und Kaninchen durchirren allein diese Ebene. 
Nach dem Austritte aus der Gegend der Psriemenkränter gelangten 
wir an den Ort, wo wir die Nacht zubringen mußten. Zwei sich 
gegeneinander neigende Felsen bilden hier eine Art von Höhle, welche 
einen Zufluchtsort gegen den Wind darbietet, und bis hierher kann 
man auf Maultieren reiten. Obgleich in der Mitte des Sommers 
und unter dem heißen Himmel Afrikas, litten wir doch während der 
Nacht von der Kälte. Unsere Führer machten ein großes Feuer an. 
Ohne Zelte und Mäntel legten wir uns auf einen Haufen verbrannter 
Steine. Je kälter es wurde, desto mehr bedeckte sich der Pik mit 
Wolken. Der Nordwind jagte sie gewaltig; der Mond blickte zuweilen 
° St. v. Humboldt,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.