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in ihrem Zimmer aufwarten und sich erkundigen, ob ihnen nichts
mangelt; er soll das Haus nicht verlassen, ohne seinen Vater davon
zu benachrichtigen, und wenn er zurückkommt, ihn sogleich begrüßen.
Geht er mit seinem Vater, so ist er immer einen Schritt zurück, und
nie setzt er den Fuß aus dieselbe Matte mit seinem Vater.
Der Vater behält überhaupt zeitlebens eine unumschränkte Gewalt
über die Kinder. Solange die Eltern leben, besitzt der Sohn kein
Eigentum, der Vater kann des Sohnes Güter verkaufen oder ver-
schenken, ohne daß diesem Einrede gestattet ist. Der Sohn eines Land-
mannes, der es bis zur Würde eines Statthalters gebracht hat, steigt,
wenn ihm sein Vater begegnet aus der Sänfte, um ihn demütig zu
grüßen. — Die Staatsbehörden sehen darauf, daß die Kindespflichten
unweigerlich erfüllt werden, und verhängen Strafen gegen die Säumigen,
teilen aber auch Belohnungen an solche aus, die sie treu erfüllen.
Ausgezeichnete Beispiele von kindlicher Liebe werden sogar öffentlich
bekannt gemacht. Besonders aber werden den Kindern die Pflichten
der Höflichkeit und des Anstandes frühzeitig eingeprägt.
Die Höflichkeit gilt für die größte Zierde des Menschen; dieselbe
geht aber bei den Chinesen so weit, die Verbeugungen, Begrüßungen
und Höflichkeitsformeln sind so genau bestimmt, daß ein förmliches
Studium derselben nötig ist, um sie zur rechten Zeit anwenden zu
können. Jeder Besuch erfordert eine lange Reihe von Förmlichkeiten,
unter denen das Abgeben von Visitenkarten, die aus rotem Papier mit
Goldblumen hergestellt sind, die erste ist. Die Anzahl der Verbeugungen,
die Ausdrücke, deren man sich bedienen muß, die verschiedenen Wendungen
bald zur Rechten, bald zur Linken, die stillen Gebärden, mit denen
der Hausherr andeutet, daß man eintreten möge, das anständige
Weigern, mit dem man andeutet, daß man der Einladung nicht Folge
leisten will, die Anleitung, wie man in dem Sessel sitzen muß, wie das
Gespräch zu führen sei, wie die Bewirtung, die in einer Schale Tee
besteht, anzunehmen sei: alles dies ist vom Gesetz genau vorgeschriebe».
Aus den Unterricht legen die Chinesen hauptsächlich deswegen
ungemein Wert, weil die Lebensstellung eines Menschen von den Kennt-
nissen abhängt, die er besitzt. So früh als möglich wird deshalb der
Knabe einem Lehrer übergeben, dem er zum unbedingten Gehorsam
verpflichtet ist. Die Ehrerbietung gegen den Lehrer geht so weit, daß
der Schüler den Neujahrswunsch knieend aussprechen muß.
Da der Unterricht in China nicht Zwangssache ist, auch die Lehrer
von der Regierung nicht angestellt werden, so müssen die Eltern selbst
Lehrer für ihre Kinder bestellen. An Männern, die hierzu tauglich
wäreu, fehlt es in einem Lande nicht, wo so viel gelesen und studiert
Wird, und wo nicht der zehnte Teil derer, die sich den Wissenschaften