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Das Geschlecht der Guacharos wäre längst vertilgt, wenn seine
Erhaltung nicht durch verschiedene Umstände begünstigt würde. Aber-
gläubische Begriffe halten die Eingeborenen vom tieferen Eindringen
in die Grotte gewöhnlich ab. Es scheint auch, daß benachbarte Höhlen,
die ihrer Enge wegen den Menschen unzugänglich sind, durch Vögel
der nämlichen Art bewohnt werden. Vielleicht wird die große Höhle
durch Kolonieen aus den kleineren Grotten unterhalten und bevölkert.
Man hat junge Guacharos nach dem Hafen von Cumana gesandt,
wo sie einige Tage am Leben blieben, ohne irgend eine Nahrung zu
sich zu nehmen, indem die Körner, die man ihnen vorlegte, ihnen nicht
behagten. Bei Öffnung des Kropfes und des Magens der jungen Vögel
in der Grotte finden die Eingeborenen mancherlei harte und trockene
Kernfrüchte, die unter der seltsamen Benennung der Guacharo-Körner
ein berühmtes Mittel gegen das Wechselfieber liefern. Die alten Vögel
tragen ihren Jungen diese Körner zu, die man sorgfältig sammelt, um
sie den Kranken in den übrigen tiefgelegenen fieberhaften Orten zu-
kommen zu lassen.
Um in das Innere der Höhle zu gelangen, folgt man den Ufern
des kleinen Flusses, welcher in ihr entspringt; seine Breite beträgt
Z bis 10 Meter. Man wandert an dem Ufer entlang, soweit die
aus kalkichten Jnkrustierungen gebildeten Hügel es gestatten; öfters,
wenn der Waldstrom zwischen hohen Stalaktitenmassen sich durch-
schlingt, muß man in sein Bett hinabsteigen, das noch nicht 1 Meter
Tiefe hat. Am Ufer dieses unterirdischen Flusses findet man eine
große Menge von Palmbaumholz. Es sind Überbleibsel der Stämme,
welche die Indianer erkletterten, um die an der Decke des Gewölbes
der Grotte hängenden Vogelnester zu erreichen. Die von den Über-
resten alter Blattstiele gebildeten Ringe versehen gleichsam die Stufen
einer senkrecht stehenden Leiter.
Die Grotte behält in der genau gemessenen Entfernung von
457 Meter vom Eingange nock die ursprüngliche Richtung, die näm-
liche Weite und die gleiche Höhe von 18 bis 20 Meter. Es kommt
auf beiden Festländern nicht leicht eine Berghöhle von so einförmiger
und regelmäßiger Bildung vor. Man hat Mühe, die Indianer zu
vermögen, über den Vorderteil der Grotte, welchen sie alljährlich zur
Einsammlung des Fettes besuchen, tiefer einzugehen, und es bedarf
eines besonderen Gewichtes und des Ansehens der Missionäre, um sie
zu der Stelle zu bringen, wo der Boden plötzlich unter einem Winkel
von 60o in die Höhe steigt, und wo der Waldstrom einen kleinen
unterirdischen Wasserfall bildet. Die Eingeborenen verbinden geheime
Vorstellungen mit dem von Nachtvögeln bewohnten Räume. Sie glauben,
die Geister ihrer Vorfahren halten sich im Hinterteile der Grotte auf.
Der Mensch, sagen sie, soll eine heilige Scheu vor Orten tragen, welche
weder die Sonne, noch der Mond beschemt. Zu den Guacharos gehen,
bedeutet, zu seinen Vätern gehen oder sterben. Auch nehmen die
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