Metadata: Lese-, Lehr- und Hilfsbuch für Gewerbeschulen

Kaiser Wilhelm L 
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waren ringsum alle Häuser mit Verwundeten überfüllt. Mit Mühe 
hatte man für den König eine kleine Stube gefunden. Darin standen 
ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl. Der König trat ein und fragte 
einen Offizier: „Wo bleiben Moltke und Bismarck?" „Bis jetzt noch 
nirgends!" antwortete dieser. „So laden Sie sie ein, mit mir hier 
zu lagern," sagte der König; „das Bett nehmen Sie weg, das können 
die Verwundeten besser gebrauchen. Dafür lassen Sie Decken und 
Stroh bringen; das wird wohl für uns drei ausreichen." So geschah 
es, und die drei Herren brachten die regnerische Nacht auf einem 
Strohlager zu. 
So vorbildlich wie das Leben, so gottbegnadet und erhebend war 
das Ende des großen Kaisers am 9. März 1888. Noch am Tage vor 
seinem Tode unterschrieb er mit zitternden Händen die Urkunde zum 
Schlüsse des Reichstages. Mit dem Prinzen Wilhelm sowohl, als mit 
dem Fürsten Bismarck hatte er ernste Unterredungen. Mit klarer 
Stimme sprach er über die politische Lage und die Heereseinrichtungen 
Deutschlands. Als seine Tochter, die Großherzogin von Baden, an 
ihn die Bitte richtete, sich nicht durch zu vieles Sprechen zu ermüden, 
erwiderte er: „Ich habe keine Zeit, müde zu sein." Dann sagte er, 
ihre Hand ergreifend: „Ja, ja, mein Kind, du kommst vom Kranken¬ 
bette deines Bruders in San Nemo, dann hast du deinen Sohn begraben, 
und nun" — der letzte Satz blieb unvollendet. Auch die Kaiserin 
Augusta wich fast den ganzen Tag über nicht von dem Sterbelager. 
Oberhofprediger Kögel betete wiederholt mit dem Kaiser und spendete 
ihm Trost aus Gottes Wort. Als der Geistliche den 23. Psalm betete; 
und die Worte sprach: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, 
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab 
trösten mich," sagte der Kaiser mit vernehmlicher Stimme: „Das ist 
schön!" Den Schluß des Wortes: „Herr, nun lässest du deinen Diener 
in Frieden fahren," sprach der Kaiser im Zusammenhange nach: „Meine 
Augen haben deinen Heiland gesehen." Als sich der Tod sichtbar an¬ 
kündigte, segnete der Geistliche, während die königliche Familie nieder¬ 
kniete, den Sterbenden ein mit den Worten: „Der Herr behüte deinen 
Ausgang und deinen Eingang von nun an bis in Ewigkeit! Ziehe 
hin in Frieden!" Draußen aber ließen die Glocken ihren ehernen 
Mund ertönen, und dumpf rollte der Donner der Kanonen, welche 
den Heimgang des obersten Kriegsherrn verkündigten. 
Die Trauer des ganzen Volkes war unbeschreiblich. Durch das 
ganze Land ging der Klageruf: „Wir sind wie Waisen, die ihren 
Vater verloren haben!" Wenige Stunden nach dem Hinscheiden des 
Kaisers erschien Fürst Bismarck im Reichstage, um die schmerzliche 
Kunde von dem Abscheiden des ersten deutschen Kaisers zu überbringen. 
Er widmete bei diesem Anlaß dem Andenken des Heimgegangenen 
folgende Worte: 
„Die heldenmütige Tapferkeit, das nationale hochgespannte Ehr¬ 
gefühl und vor allen Dingen die treue, arbeitsame Pflichterfüllung 
im Dienste des Vaterlandes und die Liebe zum Vaterlande, die in 
unserm dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen ein unzer¬ 
störbares Erbteil unseres Volkes sein, welches der aus unserer Mitte 
dahingeschiedene Kaiser uns hinterläßt! Das hoffe ich zu Gott, daß
	        
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