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3. Elfried e.
„Wie werden sich meine Eltern meinethalb in dieser Nacht geängstigt
haben!" sagte sie zu sich selbst, als sie aus dem Felde stand, „und ich
darf ihnen doch nicht erzählen, wo ich gewesen bin, und was ich gesehen
habe; auch würden sie mir nimmermehr glauben." Zwei Männer gingen
an ihr vorüber, die sie grüßten, und sie horte hinter sich sagen: „Das ist
ein schönes Mädchen! Wo mag sie nur her sein?" Mit eiligeren Schritten
näherte sie sich dem elterlichen Hause, aber die Bäume, die gestern voller
Früchte hingen, standen heute dürr und ohne Laub, das Hans war anders
angestrichen und eine neue Scheune daneben erbaut. Marie war in
Verwunderung und dachte, sie sei im Traume. In dieser Verwirrung
öffnete sie die Thür des Hauses, und hinter dem Tische saß ihr Vater
zwischen einer unbekannten Frau und einem fremden Jünglinge. „Mein
Gott, Vater," rief sie ans, „wo ist denn die Mutter?" „Die Mutter?"
sprach die Frau ahnend und stürzte hervor. „Ei, du bist doch wohl nicht? —
Ja freilich, freilich bist du die verlorene, die totgeglaubte, die liebe,
einzige Marie!" Sie hatte sie gleich an einem kleinen, braunen Male
unter dem Kinn, an den Augen und der Gestalt erkannt. Alle umarmten
sie, alle waren freudig bewegt, und die Eltern vergossen Thränen. Marie
verwunderte sich, daß sie fast zum Vater hinauf reichte; sie begriff nicht,
wie die Mutter so verändert und gealtert sein konnte; sie fragte nach
dem Namen des jnn-gen Menschen. „Es ist ja unseres Nachbars Andres,"
sagte Martin; „wie kommst du nur nach sieben langen Jahren so unver¬
mutet wieder? Wo bist du gewesen? Warum hast du denn gar nichts
von dir hören lassen?" „Sieben Jahre?" sagte Marie und konnte sich
in ihren Vorstellungen und Erinnerungen nicht wieder zurecht finden;
„sieben ganze Jahre?" „Ja, ja," sagte Andres lachend und schüttelte
ihr treuherzig die Hand; „ich habe gewonnen, Mariechen, ich bin schon
vor sieben Jahren an dem Birnbaum und wieder hierher zurück gewesen,
und du, Langsame, kommst nun heute erst an!"
Man fragte von neuem, man drang in sie, doch sie, des Verbotes
eingedenk, konnte keine Antwort geben. Man legte ihr fast die Erzählung
in den Mund, daß sie sich verirrt habe, auf einen vorbeifahrenden Wagen
genommen und an einen fremden Ort geführt sei, wo sie den Leuten
den Wohnsitz ihrer Eltern nicht habe bezeichnen können, wie man sie
nachher nach einer weitentlegenen Stadt gebracht habe, wo gute Menschen
sie erzogen und geliebt, wie diese nun gestorben uub sie sich endlich
wieder auf ihre Geburtsgegend besonnen, eine Gelegenheit zur Reise
ergriffen habe und so zurückgekehrt sei. „Laßt alles gut sein," rief die
Mutter, „genug, daß wir dich nur wieder haben, mein Töchterchen, du
meine einzige, mein alles!"
Andres blieb zum Abendbrot, und Marie konnte sich noch in nichts
wieder finden. Das Haus dünkte ihr klein und finster; sie verwunderte
sich über ihre Tracht, die reinlich und einfach, aber ganz fremd erschien;
sie betrachtete den Ring am Finger, dessen Gold wundersam glänzte
imb einen rot brennenden Stein künstlich einfaßte. Auf die Frage des
Vaters antwortete sie, daß der Ring ebenfalls ein Geschenk ihres Wohl¬
thäters sei.