54 Einleitung. B. Die hauptsächlichsten Bodengestalten der Erdoberfläche.
§ 49.,Indem unser Gewährsmann hiemit auf seine Besteigung des Moni-
blanc zu reden kommt, fährt er also fort:
In Ehamouuy hat man die Führer zu bestellen, von denen jeder 100 Franken be-
kommt. Sodann hat man für passende Kleidung und die nötige Ausrüstung zn sorgen:
für Stiefel mit großköpsigen Nägeln, für Teppiche, Bettdecken, Seile, grüne Schleier,
Alpenstöcke, eine Leiter und andere Bedürfnisse; weiter für Essen, Trinken und Brenn-
holz auf drei Tage; auch müssen drei Träger gemietet werden, um alles dies zu tragen.
„Nachdem wir die Arve überschritten und 2 Stunden zurückgelegt hatten, hielten wir
Musterung. Der Zugführer findet endlich alles in Ordnung und ruft uns zu: „Jetzt, meine
Herren, Wenns gefällig ist, steigen Sie auf Ihre Maultiere; es ist acht Uhr, und wir haben holze
Zeit." Wir sangen an zu steigen. Der erste Abschnitt des Weges geht zwischen Felsen und
Rasen aufwärts, zwischenein durch kleine Waldstrecken, bis wir etwa zwei Stunden nach dem
Aufbruch die letzte menschliche Wohnung erreichen, einst im Besitz des I. Balmat, der
zuerst (mit Dr. Paccard) am 8. August 1786 den Montblanc bestieg. (Bei einer späteren
Bergfahrt'fiel er in eine Eisspalte, aus der man ihn nicht wieder herauskriegen koimte.
Erst im Sommer 1850 kam sein Leichnam, noch ganz unversehrt, wieder zum Vorschein.)
Nachdem wir, vier Stunden nach unserem Ausbruche, das Ende des Saumpfades er-
reicht, hieß es: nun gute Nacht Maultiere; denn der weitere Weg muß zu Fuße zurück-
gelegt werden, und um den Mut wieder etwas zu beleben, ist es gerade Zeit, den Eßkorb
zu öffnen und eine gründliche Erfrischung zu sich zu nehmen.
Die nötigen Anstalten zur Weiterfahrt sind getroffen, und jedes Herz schlägt lauter;
jedoch ist feiner mutlos; alle sind bereit, dem Zugführer zu folgen, wohin er uns führt.
Er aber traut keinem Unerfahrenen, stellt vielmehr jeden Reisenden zwischen zwei Führer,
die ihn an der Hand nehmen und zum Anfang des Felsenpfades hinführen. Und hier
heißen sie ihn an den Rand hinaustreten und iit den gähnenden Abgrund hinabschauen.
„Standhaft!" redeu sie ihm zu; „wie's Ihnen dabei auch werden mag, schauen Sie immer
zn!" „Nun, können Sie's aushalten? wirds Ihnen nicht schwindlig? denn wenn wir
einmal auf dem Wege sind, können wir nicht mehr zurück." Diese scharfe Probe wird jedoch
bestanden, und der Kapitän sragt den Führer wie ein kaltblütiger General nach dem Mute
seiner Truppen. ,,Tout va bien." ist die Antwort. „Dann setzt den Alpenstock auf und
vorwärts!" Der Raudpfad ist hier nur einen Fuß breit, au einigen Stellen sogar noch
schmäler, während es auf der rechteu Seite volle fünfhundert Fuß senkrecht in die Schlucht
hinabgeht. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, müssen wir seitwärts gehen; aber die
gefährliche Strecke ist nur eine Viertelstunde lang. Einige von der Gesellschaft sind ihrer
selbst so Herr, daß sie ein einzelnes Blümchen am Wege abpflücken; andere haben Fassung
genug, ein wenig stille zn halten und schnell eine Skizze der erhabenen Umgebung aufzunehmen.
Der Zugführer heißt nun die Träger die Leiter zusammensetzen, und alsbald ist
der glacier (Gletscher) des Bossons vor uns, über den wir ohne Aufschub hinüber müssen.
Der Zugführer biudet drei Führer zusammen, jeden acht bis zehn Ellen von dem andern
entfernt, und schickt sie auf Untersuchung voraus; denn der Gletscher nimmt jeden Tag
eine andere Gestalt an. Indes, der Bericht der Kundschafter ist günstig, und unter ihrer
Anführung wagen wir uns vorwärts. Sobald wir den Gletscher erreicht haben, wird
ein Pistol abgefeuert, um durch die Lufterschütterung jede lockere Schneemasse, die uns
sonst verschütten könnte, zum Fallen zn bringen. In völligem Stillschweigen schreiten
wir voran unter der schauerlichen Aiguille du Midi. Der Zugführer versichert uns, wir
werden alle Besinnung nötig haben, und ermahnt, wir sollen uns gegenseitig verbindlich
machen, einander im Augenblick der Gesahr nicht zn verlassen. Dies geschieht, und abermals
schreiten wir weiter. Gewaltige Schneemassen kreuzen unfern Pfad; wir müssen uns mit
eiuem Beil den Weg bahnen. Ein anderesmal gähnt ein tiefer Spalt vor uns; die
Leiter wird übergelegt, und wir klettern auf alleu Vieren darüber hin. Zuweilen ist
der Spalt zu breit für unsere Leiter und dauu gehen wir am Rande desselben hin, bis
er enger wird, oder bis sich etwa ein Vorspruug findet, auf dem unsere Notbrücke auf-
liegen kann; beim Übersetzen über solche Spalten sind schon viele Unglücksfälle vor-
gekommen.
Jetzt sind wir an eine gewaltige Kluft gekommen, die quer über den ganzen
Gletscher hinüberreicht. Sie ist voller Felsen; zn denen müssen wir hinuntersteigen und auf