3. Das Hochgebirge und das Alpenland. 61
wieder. Dieses Ausziehen ist, außer bei den Ärmeren, ein Freudenfest. Den Küheu werden
die Hörner mit Blumenkränzen, mit Bändern und Flittern geziert, auch der Seuu zieht
geschmückt, die reinliche Milchtanse aus dem Rücken, mit dem Huude voran, gefolgt vom
Sennbuben mit dem Melkstuhl. Ein wohlhabender Alpenbesitzer bestellt wohl auch
Musik, und mit Singen und Jauchzen und dem lieblichen Kuhreigen geht es auf die
Berge, die von der allgemeinen Freude und den Glocken der Herden widerhallen. —
Unvermögende Besitzer ziehen mit Weib und Kind auf die Alpe, schließen unten im
Dorfe ihre Thüre zu, und lassen Gott für ihr Heimwesen sorgen. Arme Leute klettern
auf die herrenlosen, schroffsten Berge, um an Abgründen das Gras abzuschneiden, wohin
sich selbst das Vieh nicht wagt; man nennt sie „Wildheuer."
Älpler, welche Gesinde halten können, geben gewöhnlich 10-15 Kühe und ebensoviel
Kalbeln, etwa nebst einigen Ziegen und Schafen oder Schweinen, unter einen Hirten oder
eine Hirtin, die in der Schweiz und in Tirol Senn (Sennerin), in Tirol und Salzburg
auch Küher und Käser (= Käser), in den Ostalpen Schwaiger und Schwaigerin genannt
werden. Die Viehwirtschaft heißt eine Sennerei oder Sente, in den östlichen Alpen eine
Schwaig. In den Alpen von Österreich, Steiermark und Kärnten nämlich, zum Teil
schon in Tirol und Salzburg wird das Hüten, Melken und Käsemacheu von rüstigen und
mutigen Dirnen versehen.
§ 58. Die Hütten, die den Alpenhirten zur Wohunug und zur Käserei dienen, die
Sennhütten oder Alphütten, in Tirol Käser-, in den Ostalpeu Schwaighütten genannt,
sind fast überall höchst einfache kleine Blockhütten. Auf vortretenden niedrigen Höhe-
platten, oder auf Wölbungen am Abhänge werden sie, um den Stoßwinden nicht zu sehr
ausgesetzt zu sein, an ein Felsstück angelehnt, in der Waldregion liegen sie zuweilen auf
reizenden Matten. Romantisches haben diese Sennhütten nicht viel: umgeben rings von
tiefem Kot uud Dung, der fast den Zugaug unmöglich macht, bestehen sie aus ziemlich
roh auf einander befestigten Baumstämmen, zwischen deren Fugen der Wind desto freieren
Zugang hat; ein flaches Latteudach bedeckt sie, das zum Schutz gegen die Stoßwinde
mit schweren Steinen belegt ist. Jnneu ist zuerst der Raum für die Käserei: der Herd
ohne Rauchfang, der Käsekessel, die Geräte nnd Gefäße zur Käsebereitung: Milchkübel,
Milchseiher, Käseformen (Holzreife), Käsepresse 2C., an den Wänden ein Paar Bänke
die Thüre ist offen, um das Licht herein, den Rauch hinaus zu lassen. Hiuter einer
Querwand ist die Käsekammer, die zuweilen ein kleines Fenster hat, daneben das Schlaf-
gemach des Sennen. Der Fußboden ist die festgetretene Erde. In Tirol sind die Alp-
Hütten meist fester erbaut, auch wohnlicher, in Salzburg oft ganz von Stein. In den
Ostalpen nimmt einen Teil der Hütte der Viehstall ein, der in der Schweiz völlig fehlt.
Auf die 12—16 Wochen der Sennwirtfchaft, in den niederen Alpen bis 18, auf den
höchsten aber kaum 6 Wochen, ist der Senn von der Heimat wie abgeschnitten. Er lebt
größtenteils von Milch und Käse und hat nur vou Zeit zu Zeit das gewonnene Er-
zeugnis an Käse und Butter herabzuliefern, wobei er zugleich die alleruötigsteu Lebens-
mittel zurücknimmt. Die Verbindung ist aber oft sehr schwierig. Häufig siud die Alpen
durch furchtbare Abgründe von einander getrennt, in deren Tiefen rasende Wildbäche
stürzen, über welche nur ein schmaler Steg führt. Der Älpler aber, von Jugend auf
au das Bergsteigen gewöhnt, legt diese Felsensteige mit Leichtigkeit zurück, selbst wenn er
die schwersten Lasten dabei zu tragen hat, während er in der Ebene bald ermüdet wäre.
Es ist bewundernswürdig, welche Bürden, zuweilen fast zentnerschwere, er über
3500 m hohe Bergjoche schleppt, während er dabei mit einem rüstigen Fußgänger der Ebene
ohne Last gleichen Schritt hält.
§ 59. Das Leben auf den Alpen ist, bei einer warmen Sonnenwitterung,
selbst für den einfachen Hirten von großer Annehmlichkeit, und er macht seinen Frohsinn
durch munteres, lautschallendes Jodeln nnd Singen von Alpenliedern kund. Denn er
hat außer der Besorgung seiner Geschäfte immer noch Zeit genug übrig. Das Vieh
hütet er eigentlich nicht, es kennt selbst feine Pfade, der Senn weist ihm nur im allge-
meinen feinen Weideplatz an, und sein Hund sorgt für die Ausführung feiner Befehle..
Hirt und Herde lernen sich leicht verstehen; beide sind sich gleichsam Gefährten, denn
jede andere Gesellschaft fehlt, und die Natur staunt der Älpler nicht an, sie ist ihm von
Jugend auf zu bekannt. Er lebt mit seinen Kühen, wie der Araber mit seinen Kamelen:
jede hat ihren Namen, und wenn er ruft, so versteht sie, daß sie gemeint ist. Bei