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des byzantinischen Reichs. Wenn es nun sehr nahe liegt, daß der verdrän-
gende Stamm stets rüstiger sein müsse als der verdrängte, so leuchtet ein, daß
Halbiuseln und geräumige Festlandsinseln, als bevorzugte Jnvasionsräume,
beständig Gelegenheit finden, ihre Bevölkerungen durch frisch zugeführte Säfte
zu verjüngen. Diese Gelegenheit ist auch denjenigen Ländern gegeben, die
in der Nähe von Isthmen liegen. Wichtig war es, daß Mexiko dort liegt,
wo sich das nördliche amerikanische Festland sehr rasch nach einem Isthmus
zu verengert. Da sich die Völker selbst im reifen uud noch mehr im Jugend-
zustand der Cultur zur Aendernng ihrer Wohnsitze leicht entschließen, so
mußten, da vom nördlichen Festlande nach Süden zu fein andrer Raum offen
stand als jene Verschmälernng des Continentes, dort viel häufiger als ander-
wärts die Völker auf einander drängen. So fehlte es in Mexiko nie an Zu-
strömen von frischem Blute, uud es erklärt sich hieraus, warum die Mexi-
kaner unter allen amerikanischen Völkern mit am höchsten standen. Die Lage
Aegypten's war insofern eine bedeutungsvolle, als die Wasserader dieses
Landes hart vor der Landenge mündet, welche Asien mit Afrika verbindet.
Die Wohlthaten des Nils konnten sich darum nie lange dem menschlichen Auge
entziehen. Mochten Völkerbewegungen aus Afrika nach Asien gerichtet sein,
oder wurden Stämme aus dem bereits überfüllten Vorderasien nach Afrika
gedrängt, immer gelangten sie an den Nil, und zuletzt mußte demjenigen
Stamm der Besitz des unteren Nillandes zufallen uud verbleiben, der es zu
einer raschen Volksverdichtung am besten auszubeuten und in Folge dessen
auf eine höhere Gesittungsstufe sich emporzuarbeiten verstand.
Noch verweisen wir darauf, daß Deutschland, als das geographische
Centrum Enropa's, im Zeitalter der Völkerwanderung das Durchgaugslaud
für die Völkerbewegungen von Osten her wurde, und daß daher während
dieser Epoche eine Menge Völker von deutschem Boden verdrängt wurden
und dafür ueue, wenn auch oft nur vorübergehend, sich hier ansiedelten.
Die centrale geographische Lage eines Landes zwischen politisch bedeut-
sameu Cnlturstaaten, von denen jeder berechtigt zu sein glaubt, das größte
Gewicht in die Wagschale der Politik zu legeu, bringt es leicht mit sich, daß
ein solches mitten inne gelegenes Land zum Kriegsschauplatz uud zur
^ Wahlstatt wird, auf der sich die politischen Geschicke der feindlichen Nachbar-
Völker entscheiden. Da in solchen Fällen eine Neutralität des central postir-
ten Landes nicht gut möglich ist, so sieht sich dasselbe in der Regel mit in den
Kampf verwickelt, und auch über sein Schicksal werden auf seinem eigenen
Boden die eisernen Würfel geworfen. In Folge seiner räumlichen Stellung
wurde Deutschland, nachdem es gekräftigte Staaten zu unmittelbaren oder
mittelbaren Nachbarn erhalten hatte, nicht blos der Gegenstand eifersüchtiger
Aufmerksamkeit uud Habgier der übrigen Großmächte, sondern auch oft genug
Schauplatz der Entscheidung der großen und allgemeinen Angelegenheiten
Europa's. Kein anderes Land des Erdtheils zählt so viele Schlachtfelder
großer Entscheidnngskämpse, als Deutschland, das gewissermaßen eine uner-
meßliche Wahlstatt zwischen den Völkern des Ostens und Westens, des Nor-
dens und Südens vorstellt. *) Der 30 jährige, der spanische und österreichische
Erbfolgekrieg, der 7 jährige Krieg, die napoleonischen Kriege — sie alle wur¬
den vorzugsweise auf deutschem Bodeu geführt. Von Deutschland ist es
1) I. c. Ausland 1867, 917. — 2) I. c. Ausland 1868, 848. — 3) Peschel,
Völkerkunde 530. — 4) Kntzen, Das deutsche Land I, 21. 22.