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es ganz allmälig zu der Zeit abzugeben, wo die Zuflüsse längst in ihr altes Bett
zurückgekehrt sind. In Folge dieser Regelung des Abflusses sind die Ufer-
länder der mittleren Rhone von Genf bis Lyon verhältnißmäßig vor Ueber-
schwemmuugen geschützt. — Wie die Quellen, Bäche und Flüsse so haben
auch die Seen und Teiche ihre eigene schwimmende, flnthende und unter-
getauchte V egetation.
b. Bedeutung der Landseen für die Cultur. Die prächtigen
Seen am Ausgange der Alpenthäler, ausgestattet mit den mannigfaltigsten
bald idyllisch-lieblichen, bald wild-erhabenen Naturschönheiten, haben die Be-
völkerung an ihre Gestade herangelockt, sodaß wir an den letzteren gegen-
wärtig einer Menge von Städten, Flecken, Dörfern und Landhäuseru be-
gegnen. Auch werden sie von Nauen und Dampfschiffen belebt, indem sich
auf ihren Wassern ein reger Handelsverkehr entfaltet hat.
Auch die Landseen der neuen Welt haben eine eigne Anziehungskraft
auf die dortigen Cnlturvölker ausgeübt. Am Titicacafee baute und betete in
seinem Sonnentempel schon vor den Jnca ein gesittetes Volk. In den Seen
von Anahuae spiegelten sich die pyramidischen Heiligthümer der Tolteken, und
auch am Nicaraguasee hatte sich vor der Entdeckung Amerika's eine versei-
nerte Bevölkerung außerordentlich verdichtet. Wohl mochte der Anblick sol-
cher See-Spiegel die auf der Wanderung begriffenen Culturstämme fesseln;
die sanft aufsteigenden Fluren an ihren Rändern luden zum Feldbau ein;
die Wasserfälle der Seenbecken leistete Bürgschaft dafür, daß es an hinrei-
chendem Regen nicht mangele, und eine Unzahl von Fischen und eßbaren,
schmackhaften Jnsecteneiern, welche die Seen in ihren Tiefen beherbergten,
gewährte auch den Ansiedlern hinlängliche Nahrung. Aber dennoch ist diesen
Seen ein entscheidender Einfluß auf die Entwickelung der amerikani-
schen Menschheit nicht zuzuschreiben. Die befähigten Tolteken hatten schon
längst eine hohe Gesittungsstufe erreicht, ehe sie an den Seen Anahuac's ihre
Städte gründeten.
2. Wedeutung des Meeres im Kaushatte der Watur.
a. Das Meerwaffer beeinflußt die Gestaltung des Festlandes 2)
insofern, als es in vielen Gegenden der Erde Land an sich reißt, ander-
wärts dagegen Land ansetzt. Es äußert sich also die mechanische Wirkung
des Meeres durch seine Strömungen und seine Wellenbewegung, wie die der
Flüsse, iu Erosion, Transportation und Ablagerung. Die Bran-
dung vermag an Steilküsten ungeheure Felsblöcke in Bewegung zu setzen, die
härtesten Gesteinmassen zu unterwaschen, die abgefallenen Stücke zu Geröllen
abzuschleifen und zu Sand und Schlamm zu zerreiben. So werden vorsprin-
gende Felsecken zu Nadeln, Zacken und Zähnen abgenagt; es entstehen Fels-
säulen, Obelisken, Felsthore und Höhlen. Aus Vorgebirgen werden Land-
zungen, aus Landzungen Inseln, und auch diese verschwinden allmälig (Hel-
goland). Namentlich an den ausgefressenen, zersägten Westküsten von Irland,
Schottland und Norwegen hat das Meer seine zerstörenden Wirkungen geltend
gemacht. Die Shetlandsinseln, Orkaden und Hebriden erscheinen wie übrig
gebliebene Reste. Fortwährend nagt das Meer auch an der Ost- und Süd-
küste der britischen Inseln; hier sind ganze Städte und Dörser verschwunden.
Jedenfalls ist auch der Caual durch allmälige Erosion entstanden.
1) Peschel, die Kulturvölker der neuen Welt. Ausl. 1868, 843. —2) v. Hoch--
stetter I. c. 183 — 185. ) ^ )