das bunte Bild. Hus der Nähe allerdings war alles trostlos, voll Schmutz und
Verwahrlosung, welcher Gegensatz dazu das schwäbische Dorf, das wir nach
kurzer Fahrt erreichten, nachdem uns seine stattliche Kirche bereits über die
Lucht des Salzsees herüber entgegengegrüßt hatte! Das Vors Groß-Liebenthal
— das Ziel unserer Steppensahrt — ist wohl die stattlichste deutsche Lauern-
Kolonie am Gestade des Schwarzen Meeres.
Line Fürstin aus deutschem Blut, die Prinzessin Katharina von 5lnhalt-
Zerbst, die als die Kaiserin Katharina II. von Rußland eine der großen weib-
lichen herrschergestalten der Weltgeschichte wurde, war es, die aus dem ver-
ödeten Süden ihres Riesenreiches, durch dessen menschenleere Steppenwildnis
höchstens einmal in katzenschnellem, heimlichem Beutezug die tatarische Horde
streifte, ein blühendes Neurußland schuf. Sie ließ wie durch Zaubermacht am
öden Ufer des Schwarzen Meeres das prunkvolle Odessa entstehen, und sie
bevölkerte die leere Steppe mit deutschen Ansiedlern. Ihr Manifest vom
Jahre 1763 öffnete diesen das Land und lockte sie durch Versprechungen von
Lodenschenkungen, Steuerfreiheit, Befreiung vom Militärdienst und anderen
schönen Dingen zur Auswanderung aus der alten Heimat, heute, wo Eisen-
bahnen und flinke Dampfboote den Reisenden in wenigen Tagen und auf die
bequemste Weise bis zum Schwarzen Meere befördern, bedeutet diese Reise nicht
mehr viel. Die Auswanderer von damals, meist blutarme Leute, die flite und
Kranke, Kinder und Hausgerät mit sich führen mußten, hatten unendliche
monatelange Mühsal und Strapazen zu überwinden, bis sie die ferne neue
Heimstätte erreicht hatten, viele hunderte von ihnen kamen elend auf dem
Wege um, andere hunderte erlagen den Unbilden des fremden Klimas und
dem harten Kampfe mit der Steppenwildnis. Die aber aushielten, die schufen
sich dort unten mit gestählten Kräften eine stattliche neue Heimat und einen
behaglichen Wohlstand, heute künden in weitem Umkreis vom Beßarabischen
Ufer der Donau bis hinauf zur Wolga, über die Krim hinweg 'bis zu den
asiatischen Abhängen des Kaukasus viele hunderte blühender deutscher Dörfer
von deutschem 5lrbeitsfleiß und zäher deutscher Tüchtigkeit. Schwaben, Badenser,
Elsässer, aber auch (Dst- und Westpreußen sind die Gründer dieses blühenden
deutschen Lebens an den fernen Gestaden des Schwarzen Meeres geworden.
Namen der Kolonien wie Stuttgart, Landau, Straßburg, Karlsruhe, heil-
bronn u. a. m. zeugen von der treuen Erinnerung, die diese Deutschen der alten
Heimat bewahrt haben. Der junge Nachwuchs der ältesten Kolonien ist wieder
hinausgezogen, hat neues Land erworben und neue deutsche Dörfer gegründet.
So finden sich dort unten Ortsnamen wie Düppel, Königsgrätz, Wörth und
Sedan als Beweis dafür, daß diese verschollenen und leider in der Heimat
zumeist vergessenen Kinder des deutschen Volkes dessen große Ruhmestage auch
als treue Bürger ihres neuen Vaterlandes in Ehren halten, heute bestehen an
der Wolga und im Küstengebiet des Schwarzen Meeres weit über 500 deutsche
Dörfer mit mehr als einer Million Einwohnern. Diese schlichten Bauersleute
haben ihre deutsche Muttersprache in der Mundart ihrer alten Heimat in Treue
festgehalten. Sie scheiden sich nach ihr noch heute in Oberdeutsche und platt-
deutsche,' wenn man sie aber fragt, was sie sind, so antworten sie mit Stolz:
„Wir sind deutsche Leute!"
5lls wir in Groß-Liebenthal einfuhren und vom Eingang der Hauptstraße
des Dorfes, die an Breite den Berliner Linden nichts nachgibt, das Dorf über-
blickten, fiel uns sogleich zweierlei auf: die außerordentliche Regelmäßigkeit,