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ist eben nicht so einfach. Nur so viel sei gesagt, daß die mächtigen Kreuzgewölbe 
des Innern nicht nur auf den Pseilern inwendig aufruhen, fondern auch von 
anßen gestützt werden dnrch einen Wald von sogenannten Strebepfeilern. Unter- 
einander find diefe Pfeiler wieder durch Bogen verbunden, uud alle diese 
Massen hat man nicht kahl gelassen, sondern sie sind vielfach durchbrochen ge- 
arbeitet, mit sogenanntem Maßwerk und Stabwerk wie mit Filigranarbeit über- 
spönnen, kurz, über und über geschmückt. Der Chor ist von gleicher Höhe wie 
die Kirche, er schließt rund, uud ihm vorgelagert sind sieben niedrigere, viel- 
eckige Kapellen, daß das Ganze einer Krone mit sieben Spitzen zu vergleichen 
ist. Schaut man von der Rheinseite her gegen den Chor, dann erscheint er 
wie ein zerklüftetes Gebirge; beinahe sinnverwirrend kreuzen sich die Linien 
der Bogen, Giebel und Strebepfeiler, der Fialen und Wimperge, der Krabben 
und Kreuzesblumen, uud doch stellt der ganze Chor eine einzige, fchönge- 
fchwnngene, deutlich erkennbare Halbkreislinie dar. 
Eine andere Eigentümlichkeit der reicheren gotischen Kirchen ist die große Zahl 
der Fenster. Da die Gewölbe, wie angedeutet, von wahrhast riesigen Säulen oder 
vielmehr Säulenbündeln, die im Innern der Kirche stehen, und außerdem von 
ebenso mächtigen Strebepfeilern, die außen stehen, getragen und gehalten werden, 
so dienen die Umfassungsmauern nicht znm Zusammenhalten des Baues, sondern 
sind bloßer Wandverschluß. So hat man denn die Mauern geradezu durch 
gewaltige Fenster ersetzt, welche die ganzen Räume zwischen den Strebepfeilern 
ausfüllen. Sie find in Spitzbogen geschloffen, nnd ihr oberer Teil zeigt in 
Steinhauerarbeit wiederum das dieser Bauweise so eigentümliche reiche und 
reizvolle Linienspiel: da wogen die Kreise und Halbkreise durcheinander wie 
steinerne Musik. Hohe Spitzgiebel schirmen die einzelnen Fenster. 
Die Türme endlich zeigen den himmelanstrebenden Zug der Mittelalter- 
lichen Kunst so stark, wie kein anderes Bauwerk jener Zeit. Sie stehen an 
den westlichen Pforten, rechts und links, einander völlig gleich gebildet. Ihr 
Erdgeschoß birgt die drei tiefen, mit Figuren geschmückten Eingangsthüren, 
welche gleichsam die Arme weit öffnen, die Christenheit zu locken. Mächtige 
Wimperge (Spitzgiebel) bilden ein schützendes Dach über den Thoren. Fenster 
von gewaltiger Höhe füllen die folgenden Turmgeschosse; dann fpringt das 
Viereck in ein Achteck um, an dessen Ecken kleinere Türmchen, Fialen genannt, 
emporsteigen. Acht Fenster füllen wiederum die einzelnen Seiten des Achtecks. 
Nun beginnt die Turmspitze oder der Helm. Es ist kein Dach, sondern ein 
einziger, steinerner Zierat. Sogar das Auge klettert nur mühsam die steilen 
achtseitigen Helmpyramiden hinan, die mit zahllosen steinernen Kantenblättern 
(Krabben) wie mit Dornen besetzt sind, und die in ihrer durchbrochenen Arbeit 
so leicht uud schlank und mühelos in das unendliche Himmelsblau hinein- 
ragen, — bis der Abschluß endlich, 160 in über dem Erdboden, mit der wuch¬
	        
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