Full text: [H. 1, Abt. 2] (H. 1, Abt. 2)

Der Spreewald. 
Wenige Stunden genügen, um uns aus dem geräuschvollen 
Treiben der deutschen Kaiserstadt in eine völlig andere Welt zu 
führen, in den friedsam stillen, wunderbar anmutenden Spreewald. 
Er ist eine eigenartige, schier unvergleichliche Landschaft. Die 
Talweitung ist von einem dichten Netze einzelner Flußarme durch¬ 
zogen, die das ganze Land durchfeuchten und in eine sehr be¬ 
trächtliche Anzahl von Inseln zerteilen. Selbst die grenzenden 
Linien, die des Landmannes Eigentum scheiden, werden nicht von 
Rainen oder Heckenzäunen gebildet, sondern von schmalen Wasser¬ 
läufen: teils natürlichen, teils künstlichen Verästelungen der Spree. 
Diese zahlreichen Rinnen begleiten an beiden Seiten schlanke, 
hochstämmige Erlen, die oft zu zweien, dreien einem einzigen 
Wurzelstocke entspringen und sich hoch oben zu einem immer be¬ 
wegten Gewölbe zusammenneigen. Zwischen den ragenden Stämmen, 
die sich mit wunderbarer Deutlichkeit in dem dunklen Wasser 
wiederspiegeln, liegen die zum größten Teile aus braunem Holzwerk 
gezimmerten Häuser und Scheunen (Blockhäuser) mit nieder¬ 
gehendem Stroh- oder Schilfdach, die meisten auf einer Insel für 
sich, und den Boden deckt ein üppiger, blumendurchwirkter Teppich 
von Gras, Kräutern und Büschen; am Rande aber blühen Wasserlilien. 
Kein Fußtritt, kein Wagengerassel stört die tiefe Stille. 
Nicht einmal das Wasser gibt einen Laut von sich; denn die der 
Wasserfahrt dienenden Boote werden nicht mit Rudern, sondern 
mit einer Stange vorwärts geschoben und gelenkt. Nur Scharen 
melodischer Vögel, Amseln, Fink und Nachtigallen schmettern in 
der Kühle des feuchten Laubes ihre lieblichen Töne, und der 
Kuckuck zählt — nach wendischem Volksglauben — dem Wanderer 
seine Lebensjahre zu. — 
Vergegenwärtigen wir uns zunächst in wenigen Worten die 
Entstehung des Spreewaldes. Von den alten Hochgewässern, die
	        
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