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über die Straße gespannten Leinen zum Trocknen aufgehängte 
Wäsche der Bewohner. 
Da bietet sich Gelegenheit, eine Werkstätte zu besichtigen. 
Wir bemerken sehr bald, daß sie gleichzeitig als Wohnstube dient, 
ja die Frau des Hauses erzählt uns, daß in diesem einen Räume 
nicht bloß gearbeitet und gekocht, gegessen und aufgewaschen, son¬ 
dern auch geschlafen wird. Die Betten werden des Morgens 
zusammengerollt und in die Ecke gestellt, eines der Bettgestelle 
dient tagsüber als Tisch, und die Tür, die einzige Öffnung des 
Gelasses für Luft und Licht, wird bis zum Schlafengehen offen 
gehalten. Ein Wunder ist es nicht, wenn diese „Wohnung" wenig 
Ordnungs- und Reinlichkeitsliebe verrät und gesundheitlichen An¬ 
forderungen geradezu Hohn spricht.1) 
Nicht viel besser sind die Wohnräume der einfachen Leute 
in den oberen Stockwerken: zwar groß und hoch, aber bei den 
engen Straßen und den spärlich vorhandenen Fensteröffnungen der 
Luft- und Lichtzufuhr mehr oder weniger verschlossen. Die Wände 
sind meist nur getüncht, und die wenigen Möbel, häufig nur ein 
Sofa und einige Stühle an den Wänden, lassen die Zimmer öde 
und kahl erscheinen. Bilder findet man selten, ebenso Öfen, denn 
der Gebrauch geheizter Stuben ist in Süd-, ja selbst in Mittelitalien 
trotz des im Winter mitunter ziemlich strengen Frostes nicht üblich. 
Bei einer Witterung, bei der wir uns bereits in den Stuben ein¬ 
zuwintern anfangen, sieht man Italiener noch im Freien sitzen. 
Wird's ungemütlich kalt, so behält der Neapolitaner den Überrock 
im Zimmer an und wickelt die Beine in eine Decke, oder er behilft 
sich mit dem Kohlenbecken des braciere und ist ganz vergnügt, 
wenn dadurch eine Zimmerwärme von 12, 13° C erreicht wird. 
Die bei uns zum Schmucke der Zimmer soviel beitragenden 
Blumen fehlen fast ganz, nicht etwa, weil die kühlen, dunklen 
Räume nicht für sie geeignet'sind, sondern weil der Italiener an 
Dingen, die sorgfältiger Pflege bedürfen, wenig Gefallen findet. 
Wer Blumen ziehen will, und wem es die Mittel erlauben, der 
!) Und doch sind diese Wohnräume, wie sie das niedere Volk vielfach be¬ 
sitzt , noch nicht die schlechtesten. Menschenunwürdig muß man die geradezu 
höhlenartigen Wohnungen nennen, die sich unter den Rampen befinden, 
die im Zickzack nach der Höhe führen, etwa wie Kasematten im Festungswalle, 
und in denen oft Dutzende von Personen tief unter dem Straßenpflaster ihr 
Nachtlager haben.
	        
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