Full text: Haus und Heimat II (Bd. 3)

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ihre Metallstimmchen und sah sie an den Knospen picken. Sie scheuten 
sich vor den fremden Bäumen. Aber endlich wagten sich welche heran. 
„Piep — trrr. . . Wer seid ihr?" „Kennt ihr uns nicht mehr? Wir 
wollten sehen, wie es im Winter zugeht, und nun müssen wir wach 
bleiben, wir mögen wollen oder nicht. Es ist schrecklich, ganz schreck¬ 
lich; wir sind ganz elend. Man friert — das tut so weh; und das 
Weiße da drückt, als sollten einem alle Glieder entzweibrechen. Man 
kann kaum mehr reden vor Kälte, kaum mehr sehen und hören und 
denken." „Ja, schön ist anders," sagte ein Goldhähnchen mit hübschem, 
rotem Häubchen. „Ich verschliefe ganz gern den Winter, wenn ich 
könnte. Da seid ihr recht dumm gewesen." „Wie lange dauert denn 
das nur?" „Lange, sehr lange. Es hat erst angefangen. Mit der 
Sonnenwende wird's erst recht schlimm." Da krachte es; ein Ast 
brach unter der Schneelast ab, und die Vögel erschraken und flogen 
davon. 
Dunkle Tage kamen und endlos lange Nächte. Die Holzhauer 
gingen und schlugen Bäume ab. „Das ist eine ganz neue Sorte," 
sagten sie, „die haben wir noch nicht gesehen; wir wollen einmal 
probieren, wie die heizt." Und sie schlugen lauter Nadelbäume ab. 
„Recht so, recht so," schrie eine alte, heisere Krähe schadenfroh, „schlagt 
sie tot, schlagt sie tot!" Jedesmal, wenn einer umkrachte, freute sie 
sich wieder; die andern Bäume aber warteten in Todesangst, an wen 
jetzt die Reihe kommen würde. 
Dieser Winter war ganz besonders hart und schneereich. Noch 
mancher Ast brach, und zuweilen gab es einen Knall; dann war an 
einem der Bäume eine klaffende Wunde aufgesprungen. Bis in den 
April währte der Frost. Da kam warme Luft und Regen und dann 
das erste Grün und der Frühling. Aber die Nadelbäume standen 
starr und stumpf, ihr Grün war dunkel wie die Trauer. Die Finken 
singen an zu schlagen, an den Bäumen gab es Augen, und die schlugen 
sie auf und waren wach. 
„Wie seht ihr aus, und was habt ihr gemacht?" „Wir haben den 
Winter gesehen, wir haben gar nicht geschlafen," sagten die Nadel¬ 
bäume. „Es war entsetzlich, und wir werden nie wieder froh." „Wollt 
ihr keine Blätter machen?" „Nie mehr," sprachen die Nadelbäume. 
Als alles grün war und auflebte, so recht im Frühlingsjubel mitten- 
inne, bekamen sie doch Lust. Aber die Nadeln waren ganz in eins
	        
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