h. 609. Die Begründung der neuen Zustände unter Karl V. 73 
fand es vielen Widerspruch, weniger bei den Fürsten (von denen außer dem gefangenen 
Johann Friedrich nur noch zwei, Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken und Markgraf 
Johann von Küstrin, ihre Zustimmung bestimmt versagten), als bei den Städten und 
Predigern. Zwar brachte Karl durch Zwang und Drohungen die meisten ober¬ 
deutschen Städte zum Gehorsam, nachdem die Vernichtung der demokratischen Verfassung 
in Augsburg (wo die Zünfte aufgehoben und das Regiment einigen reichen Kaufherren 
übertragen worden) und die gewaltsame Unterwerfung von Konstanz unter Oesterreichs 
unmittelbare Herrschaft (was auch daselbst die Rückkehr zur katholischen Kirche herbei¬ 
führte) die anvern erschreckt hatte. Aber weder Drohungen noch Verfolgungen, weder 
Kerkerstrafe noch Schädigung an Gut und Amt waren im Stande, die protestantischen 
Prediger zur Annahme einer Religionsbestimmung zu bewegen, die ihrem Gewissen wider¬ 
strebte. Von ihren Stellen vertrieben, flohen sie die Heimath und den häuslichen Herd, 
um sich auf verborgenen Wegen nach den norddeutschen Städten zu retten, die das „seelen¬ 
verderbende" Interim entschieden zurückwiesen und entschlossen waren, ihre Religions¬ 
freiheit um jeden Preis zu behaupten. Gegen vierhundert Prediger (darunter Ioh. 
Brentz) waren landesflüchtig; den meisten bot das mit dev Acht belegte Magde¬ 
burg ein Asyl. Auch in Sachsen, der Wiege der Reformation, entflohen viele Geistlichen 
aus Haß gegen das Leipziger Interim, bei dessen Abfassung sich Melanchth on 
den Vorwurf der Schwäche und Mutlosigkeit zugezogen hat. Von Magdeburg ging eine 
Menge heftiger Flugschriften, Satiren, Spottgedichte und Holzschnitte ans, welche Hohn 
und Haß gegen das Katholiken und Protestanten gleich widerwärtige Interim und dessen 
Urheber bei dem Volke zu erregen suchten. 
Das Leipziger Interim. Die Kurfürsten von Brandenburg und von der Pfalz, 
Herzog Erich von Braunschweig u. A. nahmen das Interim unbedingt an; Moritz bat sich 
Bedenkzeit aus, weil er seinen Ständen Religionsschutz zugesagt hatte. Er fand anfangs entschie¬ 
denen Widerspruch; aber es gelang ihm, Melanchtho n, dessen von dem Kaiser begehrte Aus¬ 
lieferung Moritz verweigerte, zu einer Abänderung der Augsburger Confesston und zur Theil¬ 
nahme an dem Vereinignngswerk zu bewegen. So entstand unter seiner Leitung das Leipziger 
Interim, „in welchem hinsichtlich des Glaubens UnevangelischeS abgelehnt, aber der größte 
Theil des katholischen Ceremoniels als gleichgültig (adiaphoron) zugestanden ist. Des PaPsteS 
und der Bischöfe Gewalt sollte anerkannt werden, wenn sie dieselbe zur Erbauung und nicht zur 
Zerstörung der Kirche brauchten." Dieses Gesetz ward nach großem Widerstreben von Seiten der 
Stände und Geistlichen in Sachsen eingeführt. Theils in dieser, theils in der ursprünglichen 
Fassung wurde das Interim sofort auch in Hessen, Pommern, Mecklenburg, Lippe u. a. O. 
angenommen. 
e) Moritz von Sachsen. 
§. 609. Magdeburg. In dem Augenblick, da der dem Kaiser ergebene 
Papst Julius III. das Concilium aufs Neue nach Trient verlegte, da die Be¬ 
schickung desselben sowohl von Seiten der katholischen Kurfürsten als mehrerer 
evangelischen Stände (Sachsen und Würtemberg) Karls lange gehegte 
Wünscke zum Ziel zu führen schien, da alle Umstände sich vereinigten, ihn zum 
weltlichen Oberhaupt der Christenheit im mittelalterlichen Sinne zu 
erheben, und er bereits mit dem Plane umging, seinen Sohn zu seinem Nachfol¬ 
ger wählen zu lassen und dadurch diese erneute Kaisermacht in seiner Familie 
erblich zu machen, fand er einen unerwarteten Widersacher in dem Manne, dem 
er seine bisherigen Siege hauptsächlich zu verdanken hatte, in Moritz von 
Sachsen. Die Pläne des Kaisers drohten dem deutschen Reiche eine Umgestal¬ 
tung zum Nachtheile der Fürstenmacht; die fortdauernde Anwesenheit spanischer 
und italienischer Truppen in Süddeutschland lastete drückend auf dem Land; die
	        
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