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VI. Aus betn Menschenleben. 
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Dann stand er wieder tagelang an seiner Bohrmaschine, deren Bad er mit 
dem linken Fnsse in Bewegung setzte, um die Löcher für die Borsten zu 
bohren — eine feine und mühsame Arbeit; denn wenn die Löcher nicht 
sauber an einander stehen, so verliert die Bürste ihr Ansehen. Danach kam 
das Einsetzen der Borsten. Diese selbst kaufte er von den Bauern und 
Schlachtern als Rohware; auch sie bedurften noch mancherlei Behandlung, 
ehe sie zum Verbrauche fertig waren. 
Eines Tages hatte ich Gelegenheit, mir auch einmal die schon genannte 
grosse Bürstenfabrik anzusehen. Der Geschäftsherr war zwar nicht zu 
Hause; aber der Werkführer zeigte mir den Betrieb. Zuerst führte er mich 
in die Tischlerei; da wurde die ganze Holzarbeit besorgt. Die Leute, die 
dort beschäftigt wurden, waren gelernte Tischler, die mit der Bearbeitung 
des Holzes gründlich vertraut waren, und die nun, nachdem sie sich jahre¬ 
lang der Bürstenfabrikation allein zugewandt hatten, einen ganz besonderen 
Grad der Fertigkeit in diesem Arbeitszweige besassen. Aus der Tischlerei 
wanderte die Ware zur Bohrmaschine, die mit Dampf getrieben und immer 
von denselben Arbeitern bedient wurde. Auch diese Leute hatten eine un¬ 
übertreffliche Sicherheit in ihrer Arbeit erreicht. — Danach wurde ich in 
einen grossen Arbeitsraum geführt, in dem Frauen und Mädchen die Borsten 
sortierten. Aus grossen Haufen Rohware suchten sie die feinen und groben, 
die weifsen und schwarzen Haare heraus und legten die gleichartigen in 
Häufchen vor sich auf die Tische. Von da wanderten sie weiter, um in 
andere, noch genauere Unterabteilungen, im ganzen wohl zwanzig an der 
Zahl, zerlegt zu werden. Die letztere Arbeit wurde ebenfalls von weiblichen 
Arbeitern ausgeführt; denn besondere Kräfte gehören ja nicht dazu, wohl 
aber flinke Hände und scharfe Augen, und die haben die Frauen. Der 
nächste Raum, in den ich geführt ward, war die eigentliche Bürstenbinderei; 
hier wurden die Borsten eingesetzt. Aber auch hier machte nicht jeder 
Arbeiter alle vorkommenden Bürstensorten, sondern es waren Abteilungen 
gebildet für die groben, mittleren, feinen und feinsten Sorten, und jeder 
Abteilung waren die dafür besonders geschickten Arbeiter zugewiesen. 
Diese blieben meistens dauernd in ihrer Abteilung, und nur, wenn man 
merkte, dass ein Arbeiter an Geschicklichkeit gewann oder verlor, versetzte 
man ihn klug in eine andere. Aber auch in der Binderei wurden die meisten 
Bürsten noch nicht ganz fertig; ein grosser Teil ging noch einmal zurück 
in die Tischlerei, damit dort das Oberblatt aufgeleimt und verschraubt und 
die Politur vervollständigt werde. 
Als ich meinen nächsten Besuch bei dem alten Bürstenbinder machte, 
schilderte ich ihm das Gesehene. „Es ist kein Wunder,“ sagte er nach¬ 
denklich, „dass ich mit denen nicht mehr fortkommen kann; denn eine solch 
geschickte Arbeitsteilung ist in der Werkstatt eines Handwerkers gar nicht 
ausführbar, weil dieser nicht soviel Auswahl unter der kleinen Zahl seiner 
Gehülfen treffen kann. V ir müssen eben alle Arbeit machen, die vor¬ 
kommt, und deshalb geht sie nicht so schnell von statten. Ich glaube wohl
	        
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