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Die Wasserscheide zwischen dem Elb- und dem Wesergebiete (den 
Quellen der Bode und der Ocker) geht quer über das Gebirge und 
teilt dasselbe in einen südöstlichen und einen nordwestlichen Teil. Jener, 
d. i. der Unterharz, ist meist mit Laubholz bewachsen und zeigt 
freundliche Partien, Dörfer von Obstgärten und angebauten Feldern 
umgeben. Der nordöstliche Teil oder der Oberharz ist höher und 
rauher; hier beschränken Eis und Schnee den Sommer auf wenige 
Monate und der Ofen wird selten kalt. Er zeigt zerklüftete und tief 
eingerissene Felsenthäler und schroffe Abgründe; düstere Tannenwälder 
bedecken seine Abhänge. 
Mächtig über der Hochfläche hebt der Brocken oder Blocksberg 
sein kahles Haupt (1041 m). Die schauerlichen Sagen, welche im 
Volksmunde leben, erhöhen den düster-ernsten Charakter des Gebirges. 
Noch heute macht der Harzbewohner in der ersten Mainacht drei 
Kreuze mit Kreide an die Thüre seiner Hütte; denn es ist die Wal- 
pnrgisnacht: 
„Die Hexen zu dem Brocken zieh'n, 
Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. 
Da sammelt sich der große Haus, 
Herr Urian sitzt obenauf." 
Aus Besen und Böcken reitend, zieht das scheußliche Gesindel durch 
die Lüfte über die rauhe Hochfläche des Harzes hin zu seinem höchsten, 
kahlen Gipfel, um hier den Hexenfabbath zu feiern. Die Namen der 
auf dem breiten Gipfel des Brockens verstreuten Granitblöcke, als 
„Hexenaltar", „Teufelskanzel" u. s. w., weisen ans diesen gräßlichen 
Spuk der Walpurgisnacht hin. Die Wahrheit davon ist diese, daß in 
der Vorzeit die Bewohner dieser Gegenden sächsischen Stammes auf 
diesem Berge, der ihnen für heilig galt, bei dem vordringenden Christen- 
tum noch insgeheim ihren heidnischen Gottesdienst hielten und zu ihrer 
eigenen Sicherheit und zur besseren Wahrung ihres Geheimnisses jene 
Märchen von dem Teufel und den Hexen aussprengten. Oft mag 
damals wohl von jenen Granitblöcken des Brockens das Blut der mit 
dem Opferschwert geschlachteten Gefangenen geronnen sein! 
Die Felsen sind unverändert geblieben seit jener Zeit, aber statt 
jenes trutzigen heidnischen Volkes triffst Du heute im Harzgebirge und 
an seinem Fuße ein friedliches, biederes und fleißiges Völkchen. Wo 
nicht der Bergmann sein Fäustel schwingt oder der Hüttenmann Erze 
schmelzt, da begegnest Du dampfenden Kohlenmeilern, Waldarbeitern 
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