B. Asien.
I. Nordasien.
^8. Die Tundra.
O. Finsch.
Aus der „Reise nach Westsibirien, von Obdorsk bis zur Karabai und zurück". S. 425 ff. Berlin, Verlag
von Erich Wallroth.
An: Nachmittag des 29. Juli gegen 3 Uhr traten wir elf Mann
hoch (drei Deutsche, ein Lette, ein Nnsse, zwei Syrjänen, drei Ostjaken und
ein Samojede) mit unfern Packen die mühselige Wanderung an. Der
Marsch giug vorwärts in unbekannte Gegenden, von denen niemand voraus¬
sagen konnte, was sie uns bringen würden. Wir hatten der Baumgrenze
den Rücken gekehrt und befanden uns auf der Tundra^). Dieses der
syrjänischen Sprache entlehnte Wort, das soviel wie baumloser Ort bedeutet,
ist, ähnlich wie das englische „barren grounds" für die gleichen Strecket!
in Nordamerika, sehr bezeichnend, denn in der Tat charakterisieret: sich die
Einöden der arktischen Zone vor allem durch gänzlichen Mangel an Baum-
wuchs. Die Ostjaken und Samojeden nennen die Tuudra im Hinblick auf
die Weidegründe ihrer Herden „Sawoja", was soviel als „guter Ort"
bedeutet. Mau muß die Tundra selbst gesehen haben, um sich vou ihr
ein richtiges Bild zu machet!. Soweit das Auge reicht, hat es uichts als
eine unendliche, ackerbräunliche oder weißfahle Moosfläche vor sich oder
die mit Zwergbirken bewachsenen Strecken, jenein krüppelhaften, am Boden
hinkriechenden Pflanzengebilde, das man kaum Strauch nentten kann.
Kahle, grauliche oder gelblichfahl scheinende Hügelreihen stimmen mit dieser
Einöde so recht überein. Nur die vielen kleineren und größeren Teiche und
Seen, dereu Ufer meist mit niederen Strauchweiden bewachsen sind, ge¬
währen mit ihrem Blau eine dem Auge wohltuende Abwechslung.
Noch bedeutend schneller als das Auge ermüdet der Schritt des Wan-
derers, denn es werden ihn: hier Zumutungen gemacht, die selbst der an
größere und beschwerlichere Fußwanderungen und Kriegsmärsche Gewöhnte
sich nicht vorstellen kann. Nirgends findet der Fuß sicheren Halt. Überall sinkt
i) Mit dein Worte Tundra bezeichnet man jene ungeheure Ebenen, die im nördlichen
Sibirien uud westwärts vom Ural bis gegen das Weiße Meer und die Dwina hin, auch im
nördlichen Europa das Eismeer begrenzen. Die Tundra besteht vorwiegend aus Flechten-
und Moosbeständen mit eingestreuten Ried- und Wollgräsern und einigen Blumen. Int
Winter sind die Sümpfe oft meterdick gefroren, im Sommer tauen sie auf und bilden meist
einen großen Morast.
Ambrosius u. Hinkel, Aus allen Zonen. 11